INTERNORGA 2019

•••3••• Interview Berufsbild Koch kämpft mit Imageproblem DIEMESSE im Gespräch mit Prof. Dr. Stephanie Hagspihl, Hochschule Fulda Frau Prof. Dr. Hagspihl, Sie sind auf der Internorga 2019 als Refe- rentin beim Forum Schulcatering eingeladen und sprechen zum The- ma „Krise in der Küche – gehen uns die Fachkräfte aus?“. Fehlen in Deutschland tatsächlich Köche und Küchenhilfen, und wenn ja, warum? Deutschlandweit gilt Personal- mangel als eine der zentralen Herausforderungen des Arbeits- marktes. Berechnungen des Sta- tistischen Bundesamtes zeigen, dass der Anteil der arbeitenden Bevölkerung (20- bis 66-Jährige) im Zeitraum von 2013 bis 2030 von knapp 50 Millionen auf etwa 44 Millionen schrumpfen wird. Der daraus resultierende Arbeitskräf- tesaldo zieht sich durch alle Qua- lifikationsstufen von Hilfskräften bis hin zu Führungskräften und trifft Großküchenfachplaner, Händler und Verpflegungsanbie- ter gleichermaßen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass The- men wie Personalgewinnung, -qualifikation und Motivation auf der Rangliste der größten Heraus- forderungen in der Branche der Gemeinschaftsverpflegung (GV) ganz oben stehen. Besonders drastisch ist die Situa- tion bei den Köchen und Köchin- nen: Die Zahl der Auszubildenden ist im Zeitraum 2006 bis 2016 um 56 Prozent gesunken. So blieb 2017 jede fünfte Ausbildungsstel- le unbesetzt, die Vertragslösungs- und Durchfallquoten steigen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) gibt an, dass 2016 nahe- zu die Hälfte (48,6 Prozent) der Auszubildenden ihren Vertrag gelöst und damit die Ausbildung abgebrochen hat. Bei den ver- bleibenden Auszubilden- den lag die Durchfallquote nach Angaben der Indust- rie- und Handelskammer in der Abschlussprüfung bei 23,1 Prozent. Dazu verlässt ein Teil der fertig ausgebil- deten Kräfte anschließend die Branche, sodass bei 100 angebotenen Ausbil- dungsstellen langfristig nur 18 ausgebildete Köche/Kö- chinnen gewonnen werden können. Um die Ausbildung zum Koch oder zur Köchin und die GV-Branche attrak- tiver zu gestalten, sollten die Anforderungen der po- tenziellen Nachwuchskräfte verstärkt berücksichtigt werden. So sind monetäre Anreize nach wie vor ein wichtiges Entschei- dungskriterium. Mit Blick auf die laut BIBB zehn beliebtesten Aus- bildungsberufe im Jahr 2017 zeigt sich jedoch, dass der Ausbildungs- beruf Koch/Köchin bei der Ausbil- dungsvergütung vergleichsweise schlecht abschneidet. Darüber hinaus ist den Genera- tionen Y und Z die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung wichtig, wie auch individuelle Entwicklungs- möglichkeiten, regelmäßiges Feedback, enge Begleitung und ei- ne klare Kommunikation der Sinn- haftigkeit hinter der Arbeit. Nicht zuletzt werden mehr Eigenverant- wortung und eine ausgeglichene Work-Life-Balance erwartet. Das Berufsbild Koch/Köchin hat viel zu bieten, kämpft aber mit einem Imageproblem. Mit der Ausbildung werden häufig ein raues Betriebsklima und teilwei- se schwierige Arbeitsbedingun- gen (zum Beispiel Arbeitszeiten, Überstunden) verknüpft. Dabei bieten viele Betriebe attraktive Rahmenbedingungen wie eine gute Ausbildungsbegleitung und vielfältige Aufstiegs- und Weiter- bildungsangebote bis hin zum du- alen Studium. Auch die geregelten Arbeitszeiten und Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung können zur Work-Life-Balance und zur Vereinbarkeit von Familie und Be- ruf beitragen. An der Hochschule Fulda sind Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunk- te unter anderem Verpflegungs- konzepte sowie ressourcenspa- rende Verfahren und Techniken in der Großküche. Was behandeln Sie konkret? Nachhaltige Versorgungssysteme sind ein inter- und transdisziplinä- res Querschnittsthema. Die Ent- wicklung von bedarfs- und bedürfnisorientierten Ver- pflegungskonzepten und der nachhaltige Umgang mit Ressourcen in der Groß- küche hat daher in der Lehre und auch in der Forschung einen großen Stellenwert. Im Studiengang Oecotro- phologie: Verpflegungs- und Versorgungsmanagement und im dualen Studien- gang Wirtschaftsingenieur LifeCycle Catering werden Verpflegungssysteme und insbesondere Speisenpro- duktionsprozesse mit Blick auf die Themen Personalein- satz, Energieeffizienz, ratio- neller Einsatz von Lebensmitteln, Wasser und Reinigungsmitteln aus organisatorischer und tech- nologischer Sicht behandelt. Ne- ben Fragen zur Optimierung von Funktionsflächen und der Wahl ei- nes Verpflegungssystems werden auch Kriterien bei der Auswahl von Geräten bei der Planung von Großküchen und der Beschaffung behandelt. Unser mit modernen Großküchengeräten ausgestatte- tes Großküchenlabor bietet durch den Einsatz von Messtechnik die Möglichkeit, Energie- und Was- serverbräuche bei der Simulation von Produktionsprozessen zu er- fassen, auszuwerten und zu visu- alisieren. In praxisorientierten Fallbeispie- len, Abschlussarbeiten und For- schungsprojekten wurden in den letzten zwei Jahren, unter ande- rem in Kooperation mit Unter- nehmen, Produkte und Dienst- leistungen für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt. So wur- den beispielsweise nährstoffopti- mierte Bowls zur Erweiterung des To-go-Angebotes unserer Mensa am Campus, Smoothies für Men- schen mit Kau- und Schluckbe- schwerden in stationären Einrich- tungen und Rote-Bete-Produkte für die Schülerverpflegung entwi- ckelt und mit der Zielgruppe ge- testet. In unserer Klimakammer wurden Speisentransportsyste- me hinsichtlich der Einhaltung von Temperaturvorgaben untersucht und Lösungsansätze für die Tem- peraturerfassung und automati- sierte Temperaturdokumentation entwickelt und die Einsatzmög- lichkeiten von Alltagshilfen (Ge- schirr, Besteck etc.) in stationären Einrichtungen eruiert und im Usa- bility-Labor mit Senioren getestet. Zur Verbesserung der Schulver- pflegung soll das Markenzeichen whatsEAT für High-Convenience- Produkte beitragen. Das Zerti- fizierungsverfahren basiert auf den wissenschaftlichen Erkennt- nissen mehrjähriger Forschungs- arbeit und zeichnet Produkte mit einer hohen Genuss- und Ernäh- rungsqualität, guten Verarbei- tungsmerkmalen und Akzeptanz bei Schülern aus. Hiermit sollen einerseits den Küchenverantwort- lichen eine Hilfestellung bei der Auswahl für die Schulverpflegung geeigneter Produkte gegeben und Hersteller zur Optimierung ihrer Produkte angeregt werden. Neben Schulkindern sind gerade auch alte Menschen auf die Diens- te von Verpflegungsanbietern an- gewiesen, sei es im Altenheim oder im eigenen Zuhause. Hierzu arbei- ten Sie im wissenschaftlichen Zen- trum an einem Forschungsprojekt. Worum geht es da genau? Von der Kitaverpflegung bis hin zu Essen auf Rädern – es gibt hier viele Herausforderungen und wissenschaftliche Fragestellun- gen. Um in diesem Themenfeld interdisziplinär und anwendungs- Der Fachkräftemangel treibt die ganze Branche um: „Be- sonders drastisch ist die Si- tuation bei den Köchen und Köchinnen“, betont Prof. Dr. Stephanie Hagspihl, Expertin für Catering&Food Supply an der Hochschule Fulda. Die Zahl der Auszubildenden sinkt, die Ab- brecherzahlen steigen, Stellen bleiben unbesetzt. Das Berufs- bild Koch habe viel zu bieten, kämpfe aber mit einem Image- problem, sagt die Professorin im Gespräch mit DIEMESSE . Verbesserung der Verpegung Prof. Dr. Stephanie Hagspihl, Professorin für Catering&Food Supply und Leiterin des Zentrums für Ernährung, Lebensmittel und nachhaltige Versorgungssysteme an der Hochschule Fulda Foto: Nicole Dietzel Fortsetzung auf Seite 4 Schüler beim Ausfüllen des whatsEAT-Bewertungsbogens: Das Markenzeichen soll zur Ver- besserung der Schulverpflegung beitragen. Foto: ZCMK / HS Fulda

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