sps 2022

•••3••• Innovationen Fledermaus -- Pate bei Digitaler Transformation Ressourcen sparen mit dem virtuellen Lacklabor Die Entwicklung des Computermodells war für den Forscher vom Fraunhofer IPA und sein Team eine echte Herausforderung, denn Lacke sind viskoelastisch. Dies bedeutet, dass sie – abhängig von Zeit und Temperatur – ihre Eigenschaften verändern: Zunächst verhalten sie sich eher wie Flüssigkeiten, später eher wie Feststoffe. Die Viskoelastizität wiederum ist entscheidend für die Prognose des Verlaufs, also der Fähigkeit eines Lacks, Unebenheiten auszugleichen – das können oberflächliche Pinselspuren sein, aber auch Poren, Wellenstrukturen und Kanten unter der Lackschicht. Eine neue Messtechnik liefert die Daten Um dieses sehr komplexe Verhalten von Lacken zu simulieren, braucht man eine Fülle von Daten. Die Messgeräte, die diese liefern sollen, heißen Rotationsrheometer. Sie ermitteln die Fließfähigkeit von Lacken, indem sie eine dünne flüssige Lackprobe mit einer aufgesetzten Scheibe in Drehung oder Schwingung versetzen und dann messen, welche Kraft für die Verformung nötig ist. „Bisherige Geräte verhindern jedoch das Abdampfen der Lösungsmittel, die Ergebnisse sind daher für die Lackindustrie nur eingeschränkt aussagekräftig. Außerdem zeigen solche Messungen immer nur einen kleinen willkürlich gewählten Ausschnitt aus dem Materialverhalten, da oft nur mit einer einzigen Schwingungsfrequenz gemessen wird“, berichtet Seeler. Für rechnerische Verlaufsprognosen benötige man jedoch sehr viel umfangreichere Informationen über das Materialverhalten, beispielsweise das Verhalten einer Lackprobe bei zahlreichen Frequenzen. Gemeinsam mit seinem Team hat er eine neue Messtechnik entwickelt. Dabei stand die Natur Pate: „Das Messprinzip haben wir bei der Fledermaus abgeguckt“, erinnert sich der Forscher. Die Fledermaus nutzt kurze UltraschallRufe für die Orientierung: Jeder Ruf enthält – fließend ineinander übergehende – niedrige und hohe Frequenzen, die von der Umgebung reflektiert werden. Am Echo erkennt die Fledermaus beispielsweise, wo sich Hindernisse oder Beutetiere befinden. Indem der Ruf wiederholt wird, kann die Fledermaus verfolgen, wie sich der Abstand zu einem Hindernis mit der Zeit verändert oder wie sich das Beutetier bewegt. Das PaintVisco-Rheometer arbeitet, wie die Fledermaus, mit fließend ineinander übergehenden Frequenzen. Variiert werden dabei allerdings nicht Ultraschall-Rufe, sondern die Frequenzen, mit denen die Lackprobe verformt wird. Durch Wiederholung der Abfolge von Frequenzen lässt sich die Veränderung der viskoelastischen Lackeigenschaften beim Abbinden erfassen. Durch diese besondere Signalform sei es möglich, alle für die Verlaufsprognose benötigten Daten innerhalb kürzester Zeit zu ermitteln, betont Seeler. Mit der neuen Messtechnik können die Forschenden am Fraunhofer IPA jetzt auch die für die Industrie so wichtige Lösemittelverdunstung berücksichtigen: In ihrem Rheometer wird die Lackschicht nicht mehr durch eine geschlossene Scheibe, sondern durch eine Konstruktion aus mehreren Ringen verformt. Die Öffnungen zwischen den Ringen erlauben es dem Lösemittel, zu verdunsten. „Unsere Messungen haben gezeigt, dass sich mit der multifrequenten Messtechnik die Veränderung der viskoelastischen Eigenschaften der Lackschicht über den gesamten Lackierprozess – vom Auftragen über das Trocknen bei Raumtemperatur bis zum Vernetzen in einem Ofen – ermitteln lässt“, berichtet Seeler. „Mithilfe dieser Daten können wir jetzt nicht nur die Veränderungen der verlaufsbestimmenden Materialeigenschaften einer Lackschicht während des Abbindens nachvollziehen, sondern auch digitale Verlaufsprognosen erstellen und optimierte Lackeigenschaften ableiten – egal ob die Lackoberflächen mit dem Pinsel oder mit einem Zerstäuber erzeugt wurden.“ Simulationen, die Ressourcen sparen Die Entwicklung und Einführung eines neuen Lackes dauert mehrere Jahre und verursacht Kosten im Millionenbereich. Die PaintVisco-Simulationen können künftig Hersteller dabei unterstützen, den Verlauf ihrer Lacke schon im Entwicklungsstadium zu optimieren, neue Produkte schneller auf den Markt zu bringen und diese mit Zusatzinformationen für Anwender zu versehen. Detaillierte Angaben würden den Lackierbetrieben helfen, teure Testläufe einzusparen und auf diese Weise schneller optimale Ergebnisse zu erzielen – Vorteile, die in Zeiten von steigenden Gas- beziehungsweise Strompreisen und Personalmangel wettbewerbsentscheidend sein können. Vorbild Natur: Wie die Fledermaus arbeitet das PaintVisco-Rheometer mit fließend ineinander übergehenden Frequenzen. Variiert werden dabei allerdings nicht Ultraschall-Rufe, sondern die Frequenzen, mit denen die Lackprobe verformt wird. Auf dem Symbolbild: Braune Langohrfledermaus beim Falterfang. Foto: Dietmar Nill Digitale Erweiterung SPS on air Messebesucher können sich neben den Präsentationen von rund 1.000 Ausstellern auch auf ein spannendes Vortragsprogramm auf dem Messeforum in Halle 5 sowie der Technology Stage powered by VDMA/ZVEI in Halle 3 freuen. Auf dem Messeforumwerden Produktinnovationen präsentiert und die Technology Stage legt den Schwerpunkt auf Fachvorträge sowie Podiumsdiskussionen zu aktuellen Fragestellungen der Automation. Zu den Programm-Highlights gehören dabei unter anderem: • ZVEI-Show-Case PCF@Control Cabinet – Der DPP4.0 als industrietaugliches Konzept des Digitalen Produktpasses (Fachvortrag, Di., 08.11., 09:40 Uhr) • Status und News about OPC UA - the world‘s secure, interoperability solution (Fachvortrag, Di., 08.11., 14:00 Uhr) • Chancen und Herausforderungen der Antriebstechnik durch Digitalisierung und Nachhaltigkeit (Podiumsdiskussion, Di., 08.11., 15:15 Uhr) Einen weiteren Veranstaltungshöhepunkt bildet der Thementalk des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder, der am Mittwoch, 09.11., 09:30 Uhr live zugeschaltet wird. Dieser beschäftigt sich mit aktuellen Themen aus Wirtschaft und Politik, wie etwa der Digitalisierung in Deutschland und der Bedeutung vonMessen für den Wirtschaftsstandort Deutschland nach zwei Jahren Pandemie. Erstmals wird die SPS in diesem Jahr durch ein digitales Angebot ergänzt. Die „SPS on air“ ermöglicht Interessierten sich online zu den ausgestellten Produkten zu informieren, Anbieter direkt zu kontaktieren, das Vortragsprogramm der Technology Stage zu streamen und sich mit anderen Teilnehmern zu vernetzen. Wellige Lackoberfläche Foto: Fraunhofer IPA Fortsetzung von Seite 1

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