LogiMAT 2020

•••3••• Branchennews Interview „Digitalisierung und KI sind Chefsache“ DIEMESSE im Gespräch mit Prof. Dr. Dr. ten Hompel, Institutsleiter Fraunhofer IML Warum passen KI und die Logis- tikbranche besonders gut zusam- men? Logistik folgt recht einfachen Re- geln. Ihre Komplexität entsteht in erster Linie durch die Größe der Netzwerke und Prozessketten, aber die Einzelprozesse sind sim- pel und lassen sich weitgehend automatisieren. Das macht Lo- gistik vollständig algorithmierbar und damit zum idealen Spielfeld für KI-Anwendungen, die wieder- um ganze Logistiksysteme in ihrer Gesamtheit erfassen könnten. Welche Lösungen werden bereits heute eingesetzt und welche wer- den in den kommenden Monaten kommen? Momentan kommen in der Logis- tik noch wenig KI-Verfahren zum Einsatz, und wenn, dann handelt es sich meistens um Deep Lear- ning, das auf große Datenmengen in einzelnen Logistik- oder Supply- Chain-Managementplattformen aufgesetzt wird. Gewinnen wer- den aber die Unternehmen, die unternehmensübergreifend Sup- ply Chains zusammenführen und da ist KI der Schlüssel auf allen Ebenen. Können Sie das an einem Bei- spiel festmachen? Beispielsweise könnten zu- künftig Container oder Pa- letten mit Künstlicher Intel- ligenz ausgestattet werden, sodass sie in der Lage sind, zu verhandeln, zu erken- nen, wo sie sich befinden und wie weit sie vom Ziel entfernt sind. In Verbin- dung mit Block-Chain-Ver- fahren kann ein Lademittel darüber hinaus in die Lage versetzt werden, selbst zu buchen oder zu bezahlen. Wir ar- beiten momentan gemeinsammit Rhenus daran, Container mit Tra- ckern auszustatten, die ihren Ab- transport selbstständig bestellen und die Abrechnung automatisch buchen. Darüber wird eine Platt- form liegen, die das Routing und die Disposition über einen KI-Al- gorithmus automatisch abwickelt. Damit schafft man ein hochflexib- les System, dass vollautomatisiert in Millisekunden reagieren kann. Und es ist nicht nur klassischen Systemen weit überlegen, es stei- gert auch die Effizienz und verrin- gert gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck des Prozesses, da nur die richtigen und vollen Container abgeholt werden. Wie müssen sich Unternehmen aufstellen, um KI-Technologien op- timal zu nutzen? Zunächst einmal muss klar sein, dass KI und Digitalisierung Chef- sache sind. Da sind die Führungs- kräfte gefragt, bei großen, aber gerade auch bei kleinen Unter- nehmen, die vielleicht nicht über eine große Softwareabteilung verfügen. Und es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass KI-Ver- fahren generell auf allen Ebenen der Supply Chain stattfinden. Was raten Sie den Führungskräf- ten konkret? Wir sind auf dem Weg in eine Si- licon Economy – einem digitalen Ökosystem, in dem Künstliche In- telligenzen weit jenseits mensch- licher Intuition und über alle Ebe- nen hinweg planen, disponieren, buchen und handeln werden. Wer erfolgreich bleiben will, sollte ge- nau beobachten, wodurch und wie neue Geschäftsmodelle ent- stehen. Gerade hier hat es sich bewährt, von unten nach oben zu denken. Unternehmer sollten also zuerst darüber nachdenken, wel- che Daten überhaupt auto- matisiert erfasst und verar- beitet werden können, und dann überlegen, wie sinnvol- le neue Geschäftsmodelle aussehen, um anschließend entsprechende KI-Verfahren auf den unterschiedlichen Ebenen einzuführen. Vor al- lem größeren Unternehmen rate ich, ihre gesamte IT zu betrachten. Es bringt nichts, hier mal eine einzelne KI- Technologie und dort eine Blockchain auszutesten. Die größten Effizienzgewinne lassen sich nur über die ver- schiedenen Prozessebenen hinweg erzielen. Wie verändert Künstliche Intelli- genz die Arbeitsprozesse innerhalb von Unternehmen und was bedeu- tet das für die Mitarbeiter? Die Anzahl der Mitarbeiter, die durch KI ersetzt werden, ist in der Logistik nicht groß. Digitalisie- rung und KI werden zunächst die Menschen in unseren Büros be- treffen. Aber auch auf der opera- tiven Ebene wird zukünftig Hand in Hand mit Künstlicher Intelligenz gearbeitet werden. Alles wird in- telligent, das Regal, die Kiste, die Netzwerke und Rechner natürlich auch und darüber die Plattfor- men. Ein interessantes Beispiel für die neue Arbeitswelt ist der LoadRunner®, ein Ergebnis unse- rer Forschung, das wir auf der Lo- giMAT vorstellen. Das ist ein au- tonomes Fahrzeug, dass mithilfe von KI-Technologie im Schwarm interagiert und sich dabei extrem schnell bewegt. Die Fahrzeuge organisieren sich untereinander und erkunden die Umgebung. Ge- rade die innerbetriebliche Logistik kann so flexibler und intelligenter werden. Was sind die größten KI-Game- Changer der Zukunft? Fahrzeugschwärme sind das gro- ße kommende Thema in der Intra- logistik. Aber neben autonomen AGVs wie unserem LoadRunner werden intelligente Sensoren und kamerabasierte Systeme an jedem Regal und Container das Bild unserer Intralogistik in naher Zukunft bestimmen. Wie grund- legend der Wandel ist und wie grenzenlos der Einsatz von KI sein kann, zeigt das wohl ausgefallens- te Produkt, das wir jemals zur Lo- giMat mitgebracht haben: eine intelligente Rattenfalle (eine Ent- wicklung für die Futura GmbH). Die Falle arbeitet mit einer intelli- genten Kamera, die Bilder über 5G (NB-IoT) überträgt. Mithilfe eines KI-Algorithmus werden die Bilder dann ausgewertet. Die gleiche Technik lässt sich natürlich auch am Regal oder im Postkasten nut- zen. Die Künstliche Intelligenz in allem wird alles verändern und schon auf der LogiMat 2021 wird es uns ganz normal vorkommen, mit einem Regal zu reden. Die Logistikbranche befindet sich im Umbruch: Künstliche In- telligenz und digitale Systeme sorgen dafür, dass altbekannte Prozesse modernisiert und ver- ändert werden. Im Gespräch mit DIE MESSE erklärt Prof. Dr. Dr. ten Hompel, wie sich Un- ternehmen in der Silicon Econo- my aufstellen sollten. Schlaue Fallen und redende Regale KI-Experte Michael ten Hompel Foto: Fraunhofer IML Blitzer für überladene Lkw Fraunhofer Institut untersucht neues Monitoring-System für Schwertransporte In Zeiten stark zunehmender Ver- kehrszahlen und immer höherer Transportgewichte, die zu Stra- ßenabnutzung und Brückenschä- den führen, hat der Staat als Wäch- ter des volkswirtschaftlichen Eigentums ein berechtigtes Interes- se daran, Weigh-In-Motion-System (WIM) so weit zu verbessern, dass die Fahrzeuggewichte insbesonde- re von Lkw auch auf Autobahnen sicher erfasst werden können. Im Forschungsprojekt „LiBra“ (Lasten in Bewegung rechtssicher aufzeich- nen) untersuchen Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Be- triebsfestigkeit und Systemzuver- lässigkeit (LBF) die Messungenauig- keit sowie dieSystemzuverlässigkeit solcher Systeme. Die Untersuchun- gen sollen dabei helfen, solche WIM-Systeme künftig als standardi- siertes, gerichtsfestes Messverfah- ren zulassen zu können. Damit ließe sich eine Gewichtskontrolle etablie- ren, die ähnlich einemGeschwindig- keits- oder Rotlichtblitzer direkt ge- richtsfeste Beweise liefert. Denn es geht ja nicht nur um Abnutzung und Schäden: Zu viel Gewicht ver- mindert die Fahrstabilität der Last- kraftwagen sowie deren Fahrsi- cherheit und erhöht so das Risiko von Unfällen. Im Unterschied zu den bisher praktizierten Stichpunkt- kontrollen mit entsprechend ho- hem Zeit-, Personen- und damit Kostenaufwand versprechen Weigh-In-Motion-Systeme die lü- ckenlose, automatische Überprü- fung des Gewichts und der Achslast der Fahrzeuge während der Fahrt. Zu schwere Lkwwerden abgemahnt. Foto: ALE SAT / Unsplash

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