ISH 2021

•••2••• Innovationen Hamsternde Häuschen KI sorgt für kostenoptimiertes Energiemanagement Nun ändern sich die Energiepreise nicht mehr jährlich, sondern stünd- lich. Solarstrom gibt’s zur Mittags- zeit im Überfluss – am Abend lie- fert die tiefstehende Sonne kaum noch Energie, gleichzeitig lassen heimkehrende Arbeitspendler den Strombedarf in Stadt und Land ra- pide ansteigen. Der Effekt ist auf Verbrauchsgrafiken so deutlich zu sehen, dass Wissenschaftler ihm einen eigenen Namen gegeben haben: „Duck-Curve“ (Entenkur- ve). Wenn die Ente ihr Haupt er- hebt, wird es teuer für alle, die nun Strom beziehen müssen. Beim Energie-beziehen auf die Uhr schauen wäre also wichtig für Elek- troautofahrer und Hausbesitzer. Wer günstig und zugleich umwelt- schonend die verfügbare erneuer- bare Energie nutzen will, kann sich in Zukunft nicht mehr auf fest ins- tallierte Thermostate und manuell betätigte Knöpfe verlassen. Ein vielschichtiges Problem Bratislav Svetozarevic, forscht im „Urban Energy Systems“-Labor an der Empa und hat das Problem erkannt. Gefragt ist eine automa- tische Steuerung, die Energie zu günstigen Tageszeiten hamstert und für teure Tageszeiten nutzbar macht. Als Speicher könnte zum Beispiel die Antriebsbatterie des eigenen Autos dienen, das in der Garage an der Ladestation hängt. Doch Svetozarevic hat mit einem vielschichtigen Problem zu tun: Jedes Haus ist anders, und seine Bewohner sind es auch. Je nach Wetter und Jahreszeit ändert sich zudem die Stromerzeugung der Solaranlagen, sowie der Bedarf an Heiz- oder Kühlleistung. Eine opti- male Energiesteuerung muss also den Tagesrhythmus eines Hauses und seiner Bewohner erlernen – und sollte auch während des Be- triebs flexibel reagieren können, etwa wenn einWetterumschwung alle Kalkulationen umwirft. Schritt eins: Die Theorie Die Lösung für solche Probleme ist Künstliche Intelligenz. Der Empa- Forscher entwarf eine KI-Steue- rung die auf dem Reinforcement Learning Prinzip basiert. Wenn das System „richtig“ agiert, erhält es eine „Belohnung“. Allmählich per- fektioniert die Steuerung auf diese Weise ihr Verhalten. Zunächst wurde die Steuerung nur am Computer simuliert. Die Vor- gaben: Ein bestimmter Raum in einem Gebäude musste elektrisch auf die gewünschte Temperatur geheizt werden und diese halten. Zugleich musste das System ein Elektroauto mit Strom versor- gen, das morgens um 7.00 Uhr zu mindestens 60 Prozent geladen sein sollte und auf die Reise geht. Abends um 17.00 Uhr kehrt das Elektroauto mit einer Restladung zur Ladestation zurück und kann während der Nachtstunden auch Strom ins Haus zurückliefern. Die Steuerung wurde mit Wetterdaten und Raumtemperaturen aus dem vergangenen Jahr gefüttert und musste mit zwei Stromtarifen zu Recht kommen: teurer Strom am Tag zwischen 8.00 Uhr und 20.00 Uhr, billiger Strom während der Nachtstunden. Das Ergebnis war verblüffend: die selbstlernende Steuerung sparte gegenüber einer fest programmier- ten Lösung rund 16 Prozent Ener- gie ein und hielt im Theorieversuch auch die gewünschte Raumtempe- ratur deutlich exakter ein. Schritt zwei: Test imrealenGebäude Nun musste die Steuerung den Test in der Wirklichkeit bestehen. Svetozarevic nutzte dazu das For- schungsgebäude NEST auf dem Empa-Campus. In der Unit DFAB- House steuerte der KI-Algorith- mus eine Woche lang die Tempe- ratur eines Studentenzimmers. Zugleich wurde die 100 kWh-große Speicherbatterie imNEST genutzt, um die Batterie des Elektroautos zu simulieren. Diesmal fiel das Er- gebnis noch deutlicher aus: In ei- ner kühlen Woche im Februar 2020 sparte die KI-Steuerung 27 Prozent Heizenergie ein, im Vergleich zum benachbarten Studentenzimmer, dessen Heizung mit einer fest programmierten (regelbasierten) Steuerung betrieben wurde. „Das Schöne an unserer selbst- lernenden KI-Steuerung ist, dass man sie nicht nur im NEST, son- dern auch jedem anderen Gebäu- de einsetzen kann“, sagt Bratislav Svetozarevic. „Es braucht keinen Ingenieur, der die Steuerung pro- grammiert, und niemanden, der das Haus zuvor analysiert und eine maßgeschneiderte Lösung errech- net.“ WohligeWärme auf sparsame Art In einem nächsten Schritt wollen Svetozarevic und seine Kollegin- nen und Kollegen nun ermitteln, wie sich das System von einem Raum auf größere Gebäude erwei- tern lässt. „Wir haben in unserem ersten Experiment einen typischen Haushalt der Zukunft abbilden wol- len“, sagt der Empa-Forscher. Der Einfachheit halber hat sich das Team aufs Heizen und Fahrzeugla- den beschränkt. Die Arbeit legt je- doch die Basis für deutlich mehr. Svetozarevic ist sich sicher: „Un- sere KI-Steuerung kommt auch dann noch zurecht, wenn eine Photovoltaik-Anlage Strom liefert, eine Wärmepumpe und ein loka- ler Heißwasserspeicher bedient werden muss – und sich die Kom- fortansprüche der Bewohner im- mer wieder ändern.“ Um das KI-System in Zukunft für eine optimale Energieversorgung nutzen zu können, ist allerdings ei- ne neue Generation Elektroautos nötig. Die heute üblichen, europä- ischen und US-Modelle mit dem CCS-Schnelladeanschluss können nur Strom tanken, jedoch keinen liefern. Japanische Autos mit Cha- demo-Stecker sind dagegen fürs so- genannte bidirektionale Laden aus- gelegt. Der Koreanische Konzern Hyundai kündigte imDezember an, seine neue Elektroauto-Plattform E-GMP ebenfalls für bidirektionales Laden auszurüsten. Damit könnten Elektroautos langfristig beim Ener- giesparen helfen und zugleich das Elektrizitätsnetz stabilisieren. Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter: www.empa.ch/ web/energy-hub Automatische Steuerung ist gefragt Foto: Pixabay Fortsetzung von Seite 1

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