INTERFORST 2018

•••3••• Interview Industrie 4.0 passt perfekt zu Forstwirtschaft DIEMESSE im Gespräch mit Dr.-Ing. Michael Schluse, Oberingenieur an der RWTH Aachen Herr Dr. Schluse, in der Forstwirt- schaft nimmt das Thema Digita- lisierung immer mehr Raum ein. Warum gewinnen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in der Branche an Bedeutung? In der Forstwirtschaft besteht un- zweifelhaft der Bedarf an innova- tiven IKT-Lösungen – der von der Branche auch gesehen wird. Es geht zum einen um technische Lö- sungen für Einzelaspekte in unter- schiedlichen Bereichen. Hier war die Forstwirtschaft in den letzten Jahren, auch im Vergleich mit an- deren Branchen, sehr kreativ und innovativ. Ebenso wichtig ist es je- doch, Antworten auf die enorme Komplexität des Branchenclus- ters zu entwickeln. Wie gestalte ich zum Beispiel höchst dezentral ablaufende Prozesse mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteu- re und langen Lieferketten? Zu- dem wird die Forstwirtschaft mit vielfältigen, teilweise auch neuen und häufig konträren Anforderun- gen an die Waldbewirtschaftung wie Holzmobilisierung, Waldum- bau, Ökosystemdienstleistungen und Klimawandel konfrontiert. Hier muss der Cluster noch mit ge- eigneten technischen Lösungen reagieren. Die Technologien hier- für stehen mittlerweile zur Verfü- gung und warten nur darauf, ein- gesetzt zu werden. Welche digitalen Technologien bie- ten sich derzeit für eine effiziente und intelligente Forstwirtschaft an? Zu Beginn steht die Digitalisie- rung des Waldes. Über Ferner- kundungs- und terrestrische Me- thoden sind wir mittlerweile in der Lage, den Wald detailliert digital abzubilden. Die Digitali- sierung von Maschinen und Ge- räten integriert diese optimal in Wertschöpfungsprozesse. Diese sogenannten Digitalen Zwillinge von Wald, Maschinen und Geräten sind die Grundlage von Cyber-Physischen Sys- temen und den von diesen ausgetauschten Daten und ermöglichen so deren Ver- netzung und damit die Digi- talisierung von Prozessen. Das ist der Ausgangspunkt für die Automatisierung zum Beispiel von Prozessen, die aktuell von vielen manuellen Tätigkeiten geprägt sind. Bei der technischen Umsetzung dürfte das Cloud-Computing in Verbindung mit maßge- schneiderten Dienstleistun- gen für eine ausreichend große Anwenderbasis eine große Rolle spielen, denn die einzelnen Aufgaben sind zu komplex, als dass sie von ei- nem einzelnen Akteur mit seiner lokalen Software- und Dateninfra- struktur sinnvoll umgesetzt wer- den können. Hierbei müssen die Daten stets in der Hoheit der ein- zelnen Akteure verbleiben. Welches Potenzial bietet die „Forstwirtschaft 4.0“? Industrie 4.0 legt die Grundla- gen zur Beherrschung komplexer Strukturen, wie sie in der Forstwirt- schaft anzutreffen sind – von der Optimierung bestehender Prozes- se bis hin zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Industrie 4.0 liefert die dezentrale Informa- tionstechnik – das Internet der Dinge und Dienste – für einen höchst dezentral organisierten und agierenden Cluster. Die Kon- zepte von Industrie 4.0 passen al- so perfekt zu den Strukturen der Forstwirtschaft. Zur Umsetzung bauen wir gerade das „Kompe- tenzzentrum Wald und Holz 4.0“ auf. Es soll wesentliche Aufgaben in der Innovationskette von der Information des Clusters über Er- arbeitung und Demonstration der Konzepte und der Qualifikation der Akteure bis hin zur Unterstüt- zung bei der Konzeption konkreter Lösungen und deren Umsetzung übernehmen. Als ersten Schritt werden wir eine Umsetzungsstra- tegie erarbeiten und vorschlagen. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Einbeziehung des Men- schen. Ihn wollen wir nicht überfordern, sondern in die Lage versetzen, schnell und dezentral die richtigen Ent- scheidungen zu treffen. Wo sehen Sie aus wissen- schaftlicher Perspektive ak- tuell Handlungsbedarf? Von zentraler Bedeutung ist die Adaption der Indust- rie-4.0-Technologien auf die Forstwirtschaft mit allen hiermit verbundenen As- pekten bis hin zu Datenfor- maten und Datensicherheit. Allgemein akzeptierte und dann auch umgesetzte Stan- dards sind die Grundlage von allem. Auf dieser Basis kann dann schnell konkreter Mehrwert generiert werden, durch die Op- timierung von Prozessen, aber auch zum Beispiel durch neuartige Assistenzsysteme für nahezu alle Akteure in der Forstwirtschaft vom Waldbesitzer und seinen Dienstleis- tern über Waldarbeiter, Forstma- schinenführer bis zum Lkw-Fahrer. Mit dem Titel „IT in der Holzernte – Künftig noch mehr!“ ist ein Fo- rum überschrieben, das Sie am 19. Juli auf der Interforst moderieren. Was steht hier auf der Agenda? Das Forum zeigt vier innovative Lösungen entlang der Wertschöp- fungskette. Den Anfang macht die interaktive, Smartphone-ge- stützte Auszeichnung von Bestän- den, bei der gleichzeitig wesentli- che Informationen für die weitere Prozesskette erhoben werden. Im Mittelpunkt der beiden mittleren Vorträge stehen Plattformlösun- gen für das Flottenmanagement von Forstmaschinen und Motor- sägen. Der abschließende Vortrag illustriert anhand der Nutzung der Daten von Harvester-Bordcompu- tern in forstlichen Wertschöp- fungsketten, welche Möglichkei- ten und Herausforderungen mit der Prozessintegration in diesem Bereich verbunden sind. Ein Ausblick: Wie werden digitale Technologien die Forstwirtschaft mittel- bis langfristig verändern? Die Vision ist die Schaffung eines „intelligenten Clusters Wald und Holz“, der in dynamischen, echt- zeitoptimierten, anwendungs- und akteursübergreifenden Netzwerken weitgehend selbst- organisierend arbeitet. Auf dem Weg liegen viele Stationen, die auf unterschiedlichen Zeitschie- nen bereits konkreten Mehrwert für die Praxis liefern. Intelligente und dezentral verteilte Sensoren erheben die Daten für Planung, Ausführung und Dokumentation. Assistenzsysteme und die Teilau- tomatisierung einzelner Prozess- schritte vereinfachen die Arbeit im und mit dem Wald und verbes- sern die Arbeitssicherheit. Software-Monolithen werden durch vernetzte Digitale Zwillinge ersetzt, deren Vernetzung nicht nur die Prozesse in der Forstwirt- schaft optimiert, sondern auch die Gesellschaft geeignet mit ein- bindet. Neue Geschäftsmodelle zum Beispiel im „As-a-Service“- Kontext wandeln den Blick auf die Forstwirtschaft. Dies alles wird uns allerdings nur gelingen, wenn wir Vertrauen in die Mach- barkeit des Ansatzes sowie in die Sicherheit seiner IT-technischen Umsetzung aufbauen und so die notwendige Akzeptanz herstel- len können. Viel wird zudem da- von abhängen, ob Daten einen Wert bekommen und ihre Erhe- bung auch entsprechend hono- riert wird. Und dann kann sich die Forstwirtschaft selbst zu einem Vorreiter in einzelnen Aspekten der 4.0-Technologien entwickeln, wie sie es in anderen Bereichen bereits erfolgreich gemacht hat. Auf demWeg zur intelligent ver- netzten Forstwirtschaft: Wa- rum die Konzepte von Industrie 4.0 perfekt zu den Strukturen der Branche passen und wel- ches Potenzial die Digitalisie- rung bietet, erläutert Dr.-Ing. Michael Schluse, Oberingenieur am Institut für Mensch-Maschi- ne-Interaktion der RWTH Aa- chen, im exklusiven Interview mit DIEMESSE . Dr.-Ing. Michael Schluse, Oberingenieur am Institut für Mensch-Maschine-Interaktion, RWTH Aachen Foto: RWTH Aachen Ansatz von Wald und Holz 4.0 Foto: RTWH Aachen

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