EMO 2017 Ausgabe 1

•••3••• Interview Eine Werkzeugmaschine,die „mitfühlt“ DIEMESSE im Gespräch mit Haythem Boujnah, Leibniz Universität Hannover Auf der EMO-Sonderfläche „indus- trie 4.0 area“ stellt das IFW eine „fühlende“ Werkzeugmaschine vor, die in der Lage ist, autonom Fertigungsfehler zu erkennen und auszugleichen. Wie gelingt dies? Das Fräswerkzeug wird aufgrund seiner mechanischen Nachgie- bigkeit und der im Prozess auf- tretenden Kräfte leicht verformt bzw. abgedrängt und von seiner Soll-Bahn ausgelenkt. Dieser Ef- fekt findet in jedem beliebigen Fräsprozess statt und stellt einen Fertigungsfehler und eine quali- tätsmindernde Herausforderung dar. Denn Bauteile, die die gefor- derten Maßtoleranzen nicht er- füllen, sind schließlich Ausschuss- teile und müssen gegebenenfalls nachträglich teuer nachbearbeitet werden. Da wir diese Werkzeugverfor- mungen während der Fräsbear- beitung durch spezielle Sensorik messen können, ist es möglich, diese Verformungen bzw. den Fertigungsfehler durch gezielte Anpassung der Werkzeugbahn auszuglei- chen bzw. zu kompensieren. Hier sprechen wir von eini- gen hundertstel Millimeter an Verformung, die wir sehr präzise detektieren und in Echtzeit kompensieren können. Das gefertigte Bau- teil liegt nach dem ersten Schnitt zweifellos im Tole- ranzrahmen. Was erfasst die Sensorik der Werkzeugmaschine im Ferti- gungsprozess? In die Werkzeugmaschine sind Dehnungssensoren – genauer gesagt: metallische Mikro-Dehnungsmessstreifen – in- tegriert. Diese sind speziell für die- se Anwendung entwickelt worden, sind gerademal einen Quadratmilli- meter groß und erfassen in Echtzeit lokale Dehnungen der Maschinen- struktur. Durch spezielle Signalum- rechnungen können wir aus den Sensorsignalen auf die einwirken- den Prozesskräfte und schließlich auf die Verformungen an der Werk- zeugspitze zurückschließen. Auch im Werkstück setzen Sie Sensorik ein. Welche technischen Herausforde- rungen waren dabei zu meis- tern? Auch das Werkstück besitzt eine mechanische Nachgie- bigkeit, die unter Prozess- kräften zu mechanischen Werkstückverformungen und Fertigungsfehlern füh- ren kann. Um die Werk- stückverformung detektie- ren zu können, setzen wir in der Grundlagenforschung auch Sensoren zur Deh- nungs- und Temperaturmes- sung ein. Da sich allerdings die Form und die Nachgie- bigkeit des Werkstückes durch die Materialabnahme zwischen den einzelnen Prozess- schritten ständig ändern, liegt hier besonders die Herausforde- rung, die werkstückbedingte Ver- formung aus den Sensorsignalen zu identifizieren. Hinzu kommen noch Fragen der Energie- und Da- tenübertragung und der Senso- rintegration, die gelöst werden müssen. Denn die sensorischen Werkstücke dürfen den Maschi- nenbetrieb nicht stören und müs- sen unter rauen Bearbeitungsbe- dingungen funktionieren. Werkzeugmaschine und Bauteil kommunizieren kontinuierlich mit- einander. Welche Erkenntnisse las- sen sich daraus für eine Optimie- rung der Fertigung ableiten? Mit der Idee der fühlenden Werkzeugmaschine und der sensorischen Werkstücke, die ursprünglich aus dem Sonder- forschungsbereich 653 „Gentelli- gente Bauteile im Lebenszyklus“ stammt, verfolgen wir die Vision, dass die Bauteile bzw. die Werk- stücke ihren Weg durch die Ferti- gung selbstständig finden. Durch die ständige Kommunikation zwi- schen dem sensorischen Bauteil und den Bearbeitungsstationen bzw. fühlenden Maschinen ist es zudem möglich, den Zustand ei- ner kompletten Fertigungslinie zu jedem Zeitpunkt zu erfassen und bei unerwarteten Störungen den Weg dieser Bauteile auf eine alternative Fertigungslinie zu ver- legen, sodass keine Zusatzkosten entstehen. Gerade dieser Ansatz wird am IFW intensiv erforscht. Ein erstes Demonstrator-Szenario wurde im Versuchsfeld des IFW erfolgreich umgesetzt. Welche konkreten Anwendungs- szenarien bieten sich mit der „füh- lenden“ Werkzeugmaschine an? Bezogen auf eine Serienferti- gung wird üblicherweise so vor- gegangen, dass im Vorfeld einer Serienfertigung mehrere Test- durchläufe durchgeführt werden müssen, bis geeignete Schnittpa- rameter ermittelt sind, welche die gewünschte Endbearbeitung im angeforderten Toleranzbe- reich ermöglichen. Dies ist jedoch Eine „fühlende“ Werkzeugma- schine stellt das Hannoveraner Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) auf der EMO-Sonderschau „in- dustrie 4.0 area“ in Halle 25 vor. Spezielle Sensorik sorgt dafür, dass Fertigungsfehler während der Fräsbearbeitung autonom erkannt und ausgeglichen wer- den. DIE MESSE sprach mit Haythem Boujnah, Forscher an der Universität Hannover, über die Details. Keine Zusatzkosten Dipl.-Ing. Haythem Boujnah, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Maschinen und Roboter, Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen, Leibniz Universität Hannover Foto: Universität Hannover Hightech: Spezielle Sensorik sorgt dafür, dass Ferti- gungsfehler autonom erkannt werden. Foto: Dorota Sliwonik Fortsetzung auf Seite 4 Projektstudie Entwurfslösung Entwurfsprüfung Lösung verwirklichen Lebenslanger Support 1 2 3 4 5

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