drinktec 2017

•••3••• Interview RoboFill 4.0: Die Flasche entscheidet mit DIEMESSE im Gespräch mit Lucas Kiefer, Gruppenleiter beim Fraunhofer IGCV Herr Kiefer, der Wunsch nach per- sonalisierten und kundenindividuel- len Produkten – bis hin zur Losgrö- ße 1 – ist ein wichtiger Trend auch in der Getränkeindustrie. Eignen sich herkömmliche Abfüllkonzepte dafür? Mit herkömmlichen Abfüllkonzep- ten ist das nicht durchführbar. Die Anlagen sind auf Masse ausgelegt, dabei werden 80 000 und mehr Flaschen pro Stunde abgefüllt. Be- stehende Anlagen sind zwar in der Lage, unterschiedliche Flaschenty- pen (0,33 Liter; 0,5 Liter) abzufül- len; ein Umrüstvorgang von einem Flaschentyp auf die andere ist aber nicht im einstelligen Minutenbe- reich anzusiedeln, sondern höher. Die Kosten für individuelle Produk- te wären also mit diesen Anlagen nicht tragbar. Aktuelle Abfüllkonzepte in der Getränkeindustrie sind also recht starr. Was macht RoboFill anders? Bei RoboFill 4.0 werden hoch fle- xible Verfahren für die einzelnen Prozessvorgänge eingesetzt. Dazu gehört ein hoch entwickeltes Di- rektdruckverfahren, das das individuell gestaltete Etikett direkt und ohne Umrüstung auf die Flasche druckt. Des Weiteren setzt RoboFill 4.0 auf ein neuartiges Abfüllven- til, bei dem unterschiedliche Getränke in einem Füllventil gemischt werden können. So können Biermischgeträn- ke erstmalig in einem frei wählbaren Verhältnis ausge- mischt werden. Neben die- sen flexiblen Verfahren sind die einzelnen Bestandteile der Anlage flexibel miteinan- der vernetzt und eben nicht starr miteinander verkettet. Mit dem Einsatz eines XTS- Systems und von Robotern können wir jede Flasche in jeder Flaschen- form individuell zu dem Modul bringen. RoboFill 4.0 ermöglicht eine „agen- tengesteuerte flexible Abfüllung“. Was bedeutet das? Der Begriff Agent kommt aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz und bezeichnet eine eigenständi- ge Einheit, welche selbst Entschei- dungen treffen kann und sich zu diesem Zweck mit anderen Ein- heiten abstimmt. Eine Menge von Agenten, ein Agentensys- tem, kann sich folglich selbst organisieren. In RoboFill 4.0 wird jedes Modul – zum Bei- spiel der Füller – und jede Flasche als Agent repräsen- tiert, sodass sich jede Fla- sche selbst die nächste Bear- beitungsstation aussuchen kann. Die herkömmliche Ver- teilung von Aufgaben, wie Reihenfolge und Kapazitäts- planung, durch eine höhere Planungsebene wird damit obsolet. Nur mit einem sol- chen System ist ein hoher Freiheitsgrad in der Produk- tion beherrschbar. Denn klar ist: Wenn ich alles flexibel miteinander vernetze, erschwert das auch meine Planung. Wenn ich aber ein solches Agentensystem nutze, kann ich diese Komplexität beherrschen. Warum setzen Sie dabei auf eine dezentrale Produktionssteuerung? Dies ist Teil des Agentensystems. Dezentral heißt, dass die Entschei- dung nicht von einer zentralen Planungseinheit, sondern vor Ort getroffen wird – nur von den be- teiligten Elementen, der beteilig- ten Maschine und in diesem Fall von der beteiligten Flasche. Die- se dezentrale Entscheidung wird durch ein Agentensystem erst er- möglicht. Welche Kernelemente der Indust- rie 4.0 werden bei RoboFill 4.0 ge- nutzt? Kernelement von Industrie 4.0 be- deutet, dass das Produkt eine ak- tive Rolle im Produktionsprozess einnimmt. Das Produkt bahnt sich selbst seinenWeg durch die Fabrik. Genau dies können wir mit dem Agentensystem realisieren. Die Flasche erhält ein virtuelles Abbild – den (Flaschen-)Agenten. Dieser kommuniziert aktiv und bestimmt seinen Weg im Produktionspro- zess. Bei individuellen Produkten spielen dabei individuelle Daten- modelle eine wichtige Rolle – also die Beschreibung des Kunden, wie die Flasche aussehen soll. Welche Vorteile hat dieser Ansatz? Die Planung bei individuellen Pro- dukten ist sehr komplex. Heute werden wie erwähnt 80 000 Fla- schen pro Stunde abgefüllt, die Pla- nung umfasst also in der Losgröße mehrere Millionen Flaschen. Die Umrüstung einer solchen Anlage geschieht – wenn überhaupt – ein- mal am Tag. Würde ich in Losgröße 1 eine Flasche nach der anderen herstellen, wäre dies ein riesiger Planungsaufwand, der mit einer klassischen Produktionsplanung und -steuerung (PPS) nicht zu be- wältigen ist. Also braucht man eine direkte Entscheidungsfindung vor Ort. Am Ende der Projektlaufzeit soll ein funktionsfähiger Demonstrator zur Verfügung stehen. Was stellen Sie davon auf der Drinktec vor? Mit dem robotergestützten Ab- füllkonzept RoboFill 4.0 sollen künftig Getränkeflaschen ganz individuell abgefüllt und etiket- tiert werden – bis hin zur Los- größe 1. Wie das funktioniert und warum die Forscher dabei auf ein Agentensystem setzen, erläutert Fraunhofer-Wissen- schaftler Lucas Kiefer im Exklu- siv-Interview mit DIEMESSE . Komplexe Planung Lucas Kiefer, Gruppenleitung Flexible Anlagentechnik, Fraunhofer-Einrichtung für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik (IGCV) Foto: Fraunhofer IGCV RoboFill setzt auf hoch flexible Verfahren, die einzelnen Bestandteile der Anlage sindmiteinander vernetzt – und nicht starr miteinander verkettet. Foto: Fraunhofer IGCV Fortsetzung auf Seite 4

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