18. September 2018InnoTrans: Absolutes Neuland für Fahrwerk-Prüfer
Führerlose schienengeführte Transportsysteme wie jenes am Münchner Flughafen bringen ganz neue Herausforderungen für Fahrwerkprüfer mit sich. Welche Hürden bei dem Festigkeitsnachweis zu meistern waren, erläutert Andreas Herbert, der für das Projekt am Fraunhofer LBF zuständig war, im Gespräch mit DIE MESSE.
Foto: Fraunhofer LBF
Servohydraulischer 6-kanaliger Festigkeitsversuch mit Fahrwerk des Personentransportsystems
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Herr Herbert, für ein führerloses Personentransportsystem am Münchner Flughafen hat das Fraunhofer LBF einen Festigkeitsnachweis erstellt und dabei Neuland für eine solche Anwendung betreten. Welche neuen Herausforderungen hatten Sie zu meistern?
Zum einen war gefordert, den Betriebsfestigkeitsnachweis möglichst genau auf eine bestimmte Strecke zu beziehen, die zum Zeitpunkt der Nachweisführung noch nicht existierte. Zum anderen ist die gesamte geforderte Fahrleistung über die Lebensdauer sowie die mittlere Belastung der Fahrzeuge durch Fahrzeuggewicht und Beladung sehr hoch. Das konventionell mit luftgefüllten Reifen bestückte Fahrwerk stammt aus dem Nutzfahrzeugbereich. Ein ergänzendes, speziell konstruiertes Führungssystem überträgt die Lenk- und Seitenkräfte auf eine Führungsschiene am Boden. Der spezielle Einsatz des Achssystems unterscheidet sich bei dem Transportsystem INNOVIA APM 300 von Bombardier Transportation grundlegend von üblichen Anwendungen der Basisachse. Da der Betriebsfestigkeitsnachweis speziell für den Einsatz am Flughafen München geführt werden sollte und für das Fahrzeugsegment der führerloses Personentransportsysteme keine abgesicherten allgemeinen Belastungsannahmen existieren, wurde der Nachweis analog zu der aus der Automobilindustrie bekannten Vorgehensweise geführt.
Welche weiteren Besonderheiten weist das führerlose Transportsystem auf?
Es galt, über die eigentliche Achse auch das Führungssystem, welches auf der Führungsschiene läuft im Hinblick auf dessen Betriebsfestigkeit zu prüfen. Hierzu mussten die auftretenden Kräfte an der Führungsschiene im Versuch mit simuliert und die Seitenkräfte von Führungsschiene und Rad über eine realistische Abbildung der Kinematik in Einklang gebracht werden. In Bezug auf die Festigkeit haben wir hier zusätzlich den Sonderfall, dass bei Vollbesetzung des Fahrzeugs eine für den eigentlichen Einsatzzweck der Achsen extrem hohe Zuladung vorliegt, gleichzeitig aber eine auf Grund der sehr glatten Fahrbahn nur ausgesprochen geringe Vertikaldynamik. Zudem gibt es beim Einsatz des führerlosen Transportsystems einige sehr spezielle für den Betriebsfestigkeitsnachweis relevante Belastungsfälle, wie die Überfahrt der Stöße der festen Betonfahrbahn und die Durchfahrt von Weichen mit den resultierenden hohen seitlichen Belastungen.
Warum mussten Sie bei der Prüfung alle Lastannahmen und die Lebensdaueranforderung neu definieren?
Die Zulassungsbehörde machte die Auflage, den Nachweis streckenspezifisch zu führen, so dass die dortige Streckenführung und der individuelle Betriebsplan berücksichtigt werden mussten. Weiterhin stellen die führerlosen schienengeführten Transportsysteme immer noch eine Besonderheit im Transportwesen dar. Es gibt zwar auf der einen Seite generelle Anforderungen in Bezug auf die Ausführung und Qualität des Fahrweges, auf der anderen Seite sind Aspekte wie die Streckenführung, die Geschwindigkeitsvorgaben in den jeweiligen Fahrabschnitten und die Beladungszustände abhängig vom jeweiligen Einsatz und Einsatzort. Vor allem das Fahrprogramm, welches den Einsatz der Züge steuert und somit auch die Auftretenshäufigkeit der Belastungsszenarien bestimmt, war für den Einsatz am Flughafen München individuell zu definieren. Da der Nachweis für eine geplante Einsatzdauer von 30 Jahren geführt werden sollte, mussten auch mögliche Veränderungen bei der Beschaffenheit des Fahrweges und gegebenenfalls mögliche Streckenerweiterungen berücksichtigt werden.
Zunächst haben Sie das dortige Belastungsszenario synthetisch modelliert. Was bedeutet das konkret?
Zu Beginn des Projektes war die originale Strecke noch nicht verfügbar. Um trotzdem realitätsnahe Daten für genau diese Strecke zu generieren, wie es gefordert war, wurde sie synthetisch modelliert, das heißt aus einzelnen verschiedenen Bausteinen zusammengesetzt. Die verschiedenen Routenvarianten der Fahrstrecke waren in einem Betriebsplan beschrieben und wurden dazu in kurze relevante Abschnitte zerlegt, zum Beispiel Geraden, Kurven, Weichen, Bremswege usw. Diese Teilstrecken mussten mit realen Belastungsdaten beschrieben werden. Daher wurden auf einer kurzen Teststrecke des Herstellers Bombardier Transportation Messungen für solche typischen Streckenelemente durchgeführt und die einzelnen Bausteine jeweils durch solche repräsentativen Meßabschnitte ersetzt. Die einzelnen Belastungsverläufe dieser Modellabschnitte wurden synthetisch zu einem Abbild der realen Strecke zusammengefügt, wobei dies für die gesamte geplante Fahrzeugeinsatzzeit von 30 Jahren mehrere zehntausendmal zu wiederholen war. Die späteren Messungen auf der Strecke in München des realen Einsatzes zeigten die gute Übereinstimmung zwischen synthetischem Modell und der Praxis.
Im Anschluss erfolgte ein experimenteller Lebensdauernachweis im Labor. Was umfasste das Testszenario?
Ein Laborversuch muss alle relevanten Belastungsrichtungen, die von außen auf die Baugruppe einwirken, so abbilden, dass dies der Schädigung aus dem späteren Praxisbetrieb entspricht. Durch eine detaillierte Analyse der Messdaten wurden diese Größen vorab vom Fraunhofer LBF festgelegt. Der Versuchsaufbau wurde so konzipiert, dass die gesamte Achsbaugruppe mit den relevanten Kräften an den Rädern und der Führungseinrichtung in mehreren Richtungen belastet wird. Die Achse ist dabei so eingebaut, wie sie am Unterboden des Fahrzeugs befestigt ist, so dass alle Anbindungselemente mit geprüft werden können. Die Lasten werden in diesem Prüfstand durch geregelte servohydraulische Zylinder eingeleitet. Auch im Versuch werden an der Baugruppe an verschiedenen Stellen Beanspruchungen und Lasten gemessen, so dass sichergestellt werden kann, dass diese mit denen aus den zuvor durchgeführten Teststreckenmessungen übereinstimmen. Neben verschiedenen statischen Messungen in unterschiedlichen Lastkombinationen wird vor allem der Lebensdauerversuch durchgeführt, der die umgangssprachliche Materialermüdung im Betrieb simuliert. Dabei wurde ein stark geraffter Belastungsverlauf aufgebracht, der auf der eben genannten synthetischen Strecke basiert. Mit diesem konnte die reale Betriebszeit von 30 Jahren in weniger als drei Monaten abgebildet werden.
Nach dem Versuch wurde die Baugruppe zerlegt. Welche Ergebnisse brachten die abschließenden Prüfungen?
Bei solchen Sicherheitsbauteilen wie Achskomponenten ist es nicht nur gefordert, dass die vorgesehene Lebensdauer im Versuch erreicht wird. Es muss darüber hinaus auch sichergestellt sein, dass alle relevanten Einzelteile danach in einem sicheren und noch einwandfrei funktionierenden Zustand sind. Auch wenn natürlich über diese sehr lange Laufzeit ein gewisser unvermeidbarer Verschleiß auftreten wird, muss aber ausgeschlossen werden, dass relevanten Schäden wie Risse vorliegen, die unter einer Belastungsspitze zu einem plötzlichen Versagen führen könnten. Alle Bauteile wurden daher einzeln mittels Farbeindringverfahren und Magnetpulver auf Anrisse untersucht. So konnte nachgewiesen werden, dass die Bauteile nach den aufgebrachten harten Beanspruchungen noch voll funktionsfähig waren.
Auf der InnoTrans präsentiert Fraunhofer LBF die Ergebnisse seiner Forschungsprojekte in Halle 23 Stand 207. Welche weiteren Schwerpunkte setzen Sie in Berlin?
Wir stellen am Fraunhofer LBF-Stand vor, wie man einen Betriebsfestigkeitsnachweis komplett in der virtuellen Welt führen kann. Analog zu den messtechnischen und experimentellen Arbeiten für das führerlose Personentransportsystem kann man mit Mehrkörpersimulations- und Finite-Element-Methoden ebenfalls die in Systemen vorliegenden Belastungen ermitteln und mit den berechneten lokalen Beanspruchungen eine Betriebsfestigkeitsabschätzung durchführen. Diese Methode bietet sich insbesondere zu frühen Zeitpunkten der Fahrzeugentwicklung an.
Ferner zeigen wir unsere Möglichkeiten bei der Charakterisierung und Lebensdauerermittlung von Elastomerwerkstoffen und –bauteilen. Im Feld der Elastomerbauteile führen wir aktuell viele Projekte zur Ermittlung des dynamischen Übertragungsverhaltens der Bauteile durch. Diese Daten helfen uns, geeignete Elastomerlagermodelle zu entwickeln und zu parametrieren, die dann wieder in der Mehrkörpersimulation zum Einsatz kommen und die Simulationsgüte erhöhen. So schließt sich der Kreis hin zur virtuellen Welt.
https://www.lbf.fraunhofer.de/
https://www.innotrans.de/