transport logistic 2017

•••3••• Interview Kunde erwartet Innovation in der Logistik DIEMESSE im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Frank Straube, Logistikexperte an der TU Berlin Smarte Technologien sind ja im Hinblick auf Industrie-4.0-Szenari- en überall im Gespräch. Wo kann die Logistik „smarter“ werden und wo liegen Risiken? Vor dem Hintergrund der Digita- lisierung von Geschäftsmodellen, neuer Kundenerwartungen hin- sichtlich eines Nutzen- statt Pro- dukterwerbs und der integrierten Vermarktung von Produkten zu Systemen mit zusätzlicher Ser- viceleistung gewinnt die Logistik in Unternehmen und Gesellschaft an strategischer Bedeutung. Die Logistik kann entlang des gesam- ten Kundenauftragsprozesses sowohl bei Industrie, Handel und Logistikdienstleistungsunterneh- men in den Bereichen Beschaf- fung, Produktion, Kontraktlogis- tik, Distribution, Entsorgung und Verkehr smart gestaltet werden. Neue smarte Akteure wie bei- spielsweise elektronische Platt- formen bedrängen traditionel- le Intermediäre in Logistik und Verkehr. Geschäftsmodelle des Handels, der Produktion und der Logistik verbinden sich. Das Ziel ist eine transparente, synchrone und untereinander abgestimmte Zusammenarbeit von Wertschöp- fungspartnern und Bereichen innerhalb des Unternehmens, sodass die Kundenerwartungen erfüllt werden können. Risiken der smarten Logistik lie- gen in der Datensicherheit und dem Vertrauen in Daten, dem Vertrauen in Kooperationen und Datenaustausch, rechtlichen Rah- menbedingungen sowie dem Feh- len an Spezialisten hinsichtlich neu entstehender Technologien, Algorithmen, Datenanalysen, aber auch der Führung solcher smarten Logistiknetzwerke. Elektromobilität und auto- nomes Fahren betreffen auch Intra- und Extra-Logis- tik. Welche Möglichkeiten sehen Sie für diese Techno- logien? In unterschiedlichen For- schungsprojekten und Dis- sertationen konnten zum Thema Elektromobilität im Güterverkehr je nach Bran- che unterschiedliche logis- tische Anforderungen an die Distributionslogistik (Extra-Logistik) herausgear- beitet und auf die Machbar- keit elektromobiler Anwen- dungsszenarien überprüft werden. Beispielsweise ha- ben Paketdienste eher klei- ne Nutzlasten und geringe Reich- weiten (im Mittel kleiner als 100 km) zu distribuieren und benöti- gen dafür fahrzeugseitig geringe Ladezeiten und große Einsatzfle- xibilitäten. Lebensmittel- und Be- kleidungsdistributeure benötigen dagegen Nutzfahrzeuge, welche in der Lage sind, größere Reich- weiten (imMittel 260 km) und hö- here Nutzlasten zu realisieren mit vergleichsweise geringeren Anfor- derungen an die Flexibilität. Sensitivitätsuntersuchungen zeigen, dass die Reichweite hin- sichtlich der Anwendbarkeit von batterieelektrischen Nutzfahr- zeugen in der Distribution häufig – wie oft angenommen – nicht entscheidend ist, vielmehr ist die Nutzlast der limitierende Para- meter. In urbanen Gebieten sind diese Fahrzeuge deshalb bereits heute einsetzbar. Es konnte au- ßerdem gezeigt werden, dass die Betriebskosten einen deutlich geringeren Einfluss auf die Wirt- schaftlichkeit des Fahrzeugeinsat- zes haben als oft angenommen, es sind vielmehr die Anschaf- fungskosten und ihre Abschrei- bungen, welche die Wirtschaft- lichkeit signifikant beeinflussen. Eine Subventionierung der Kfz- Steuer oder des Stroms hätten somit einen deutlich geringeren Einfluss auf die Kostenbilanz von batterieelektrischen Nutzfahrzeu- gen als eine Subventionierung der Anschaffungskosten, Sonderab- schreibungen oder sichere Rest- werteinschätzungen nach der Nutzungsdauer. Im Ergebnis ist der Einsatz elek- tromobiler Antriebe in der logis- tischen Distribution möglich, mit Einschränkungen bereits heute und wahrscheinlich verstärkt in der Zukunft, wenn einerseits Reichweiten von Batterien grö- ßer werden und andererseits Dis- tanzen in der Distribution durch den zunehmenden Einfluss des Internethandels kleiner, aber die Belieferungshäufigkeiten größer werden und insgesamt die Total- kostenbilanz über große Stück- zahlen verbessert wird. Der innerstädtische Güterverkehr nimmt rasant zu, e-commerce und Paketzustelldienste wachsen stetig. Die Folgen sind Verkehrs- staus und Stress für die Bewoh- ner. Die transport logistic richtet dieses Jahr eigens einen Schwer- punkt City Logistik / metro- politan logistic ein, Sie for- schen an der TU Berlin zu nachhaltiger Logistik. Wie sieht der Warentransport in der Stadt der Zukunft aus? Städte brauchen neu durch- dachte „Last Mile as a Service“-Konzepte. Bei- spielsweise sind digitale Steuerungsplattformen zur Koordination aller Waren- bewegungen über Kuriere, Fahrzeuge, Drohnen, Lie- ferroboter, Paketshops und Packstationen, Click-and- Collect-Lösungen, Koffer- raumbeiladungen, autonome Zustelltransporter, Shared Services, PredictiveLogistics usw. am Entstehen. Das Stichwort lautet „Last Mile as a Service“. Die Trends im Fulfillment sind steigen- de Kundenerwartungen hinsicht- lich einer termintreuen Lieferung, Benachrichtigung über Versand und Sendungsnachverfolgung, versandkostenfreie Lieferung und Retoure, Auswahl eines Zustellzeit- fensters sowie Lieferung innerhalb von 24 Stunden oder Same-Day- Delivery. Weitere Trends sind die schwankende Nachfrage, die ei- ne gleichmäßige Auslastung der Transportkapazitäten erschwert, sowie neue Vorschriften und Ge- setze. Für die Erforschung und Etablierung neuartiger Fulfillment- Konzepte sind Testgebiete not- wendig, analog zu Schaufenster- projekten der Bundesregierung in der Elektromobilität. Sie sind auch Gastprofessor am Chinesisch-Deutschen Hoch- schulkolleg (CDHK) der Tongji- Universität Shanghai. Welche Erfahrungen in Logistik und Mo- bilität bringen Sie aus China nach Deutschland mit und was können die Chinesen von Ihnen lernen? Natürlich wäre die Standardant- wort, dass Logistik und Mobili- tät in China noch grüner werden könnten und auch das Hinterland besser anzubinden ist. Allerdings wäre es auch spannend zu disku- tieren, warum die Chinesen es zum Beispiel geschafft haben, den Transrapid zu bauen und wir nicht; oder den Bau der Schnell- fahrstrecke Peking-Shanghai mit Geschwindigkeiten bis zu 380 km/h. Das sind Projekte, die in ei- nem stark regulierten Land wie Deutschland schon häufig vor der Umsetzung scheitern. Es wird deutlich, dass Logistik als strategisches Instrument eines Landes betrachtet werden kann. Hier hat China mit mehreren Fünf- jahresplänen Beeindruckendes geleistet. Die deutsche Forschung und Industrie hat dieses Potenzi- al bereits erkannt. Beispielsweise engagiert sich die Kühne-Stiftung für deutsch-chinesische Logistik- netzwerke und fördert Logistik- lehrstühle in Deutschland und China. Am Fachgebiet Logistik der TU Berlin ist in diesem Zusam- menhang ein Navigator in Form eines digitalen Logistikplanungs- tools entwickelt worden, an dem sowohl deutsche als auch chine- sische Unternehmen gemeinsam ihre Netzwerke darstellen und planen können (http://china.logi- stics.tu-berlin.de/wp/) . Auch in der Lehre und damit Aus- bildung zukünftiger Fach- und Führungskräfte spielen deutsch- chinesische Netzwerke eine be- deutende Rolle. Sowohl an der TU Berlin als auch der Tongji- Universität Shanghai steht die ganzheitliche Logistik, die Kos- ten, Leistungen und Nachhaltig- keit berücksichtigt, im Fokus der Logistiklehre. Hinzu kommen an Bedeutung wachsende Themen wie die Logistik für Megastädte – sowohl für China als auch den Rest der Welt – und smarte Tech- nologien mit ihren Wirkungen auf Netzwerke und Menschen unter- schiedlicher Kulturen. Logistik ist für Unternehmen von strategischer Bedeutung. Damit das Produkt terminge- recht an den Kunden kommt, müssen die Abläufe bei Be- schaffung, Produktion und Dis- tribution abgestimmt sein. Neue „smarte“ Technologien und Elektromobilität versprechen Prozessoptimierung. Welche Szenarien denkbar sind, erläu- tert Prof. Dr.-Ing. Frank Straube von der TU Berlin im Gespräch mit DIEMESSE . Prof. Dr.-Ing. Frank Straube, Leiter des Fachgebiets Logistik an der TU Berlin Foto: tristan vankann / fotoetage Elektromobile Distribution Strategisches Instrument Smarte Technologien unterstützen smarte Logistik. Foto: Straube, Doch, Roy (2015)

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