SPS 2020

•••4••• Innovationen Baumaschinen im Software-Test Baumaschinen im Software-Test Ein Turmdrehkran ist in der La- ge, mitten in der dicht besiedel- ten Stadt einen tonnenschweren Werkzeugcontainer hunderte Meter hoch zu hieven, um diesen zentimetergenau auf der Platt- form eines Hochhauses abzule- gen. Dementsprechend aufwen- dig und teuer ist die Entwicklung solcher Maschinen und das Testen der Prototypen. Unterstützung bietet das Fraun- hofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern mit einem Test- stand der besonderen Art. Er basiert auf einem HiL-Simulator (Hardware-in-the-Loop). Damit lassen sich im Prinzip jede beliebi- ge Maschine und deren Steuerung gekoppelt mit einer Software- Simulation virtuell testen. In der Autoindustrie ist HiL bei der Ent- wicklung neuer Modelle bereits Standard. Bei Nutzfahrzeugen aber noch nicht. Die Fraunhofer- Forschenden hatten allerdings schon vor Jahren erkannt, dass die Nutzfahrzeugbranche durch immer kürzere Innovationszy- klen, die zunehmend modulare Bauweise und die Digitalisierung der Steuerungstechnik einen ganz ähnlichen Bedarf hat und das Testkonzept entsprechend übertragen. „Mit unserem HiL- Simulator sind wir in der Lage, Baumaschinen aller Art zu testen, beispielsweise unterschiedliche Kran-Typen oder auch Betonpum- pen. So helfen wir bei der Opti- mierung der Prototypen“, erklärt Projektleiter Dr. Christian Salzig. Eine reale Testumgebung ist nicht mehr nötig. Digitaler Zwilling im Simulator Im ersten Schritt wird die zu tes- tende Maschine als Software-Mo- dell nachgebaut, in die alle techni- schen Spezifikationen einfließen. Dazu gehören die Abmessungen, die Leistungsdaten der Motoren, die Stärke der Stützstrukturen, die Gewichtsverteilung, die Win- kel beim Bewegen der Ausleger, deren Länge und vieles mehr. Gleichzeitig sind die physikali- schen Gesetze der Mechanik, Hy- draulik und Elektronik wie Kräf- te, Drücke oder Steuersignale als mathematische Gleichungen in die Software implementiert. Auf diese Weise entsteht ein Digitaler Zwilling. Im nächsten Schritt wird der Si- mulator mit dem digitalen Zwil- ling an die elektronischen Steuer- einheiten angeschlossen, die die Baumaschine im Betrieb kontrol- lieren und steuern. Eine Fachkraft bedient die zahlreichen Regler und Joysticks, die wiederum mit den Steuereinheiten verbunden sind. Auf einem Display stellt eine animierte 3D-Grafik alle Bewegun- gen der Maschine dar. Der HiL-Simulator-Test zeigt zu- nächst, wie präzise Steuereinheit und Maschine zusammenwirken, und wie feinfühlig Bedienelemen- te wie Joysticks agieren. Moderne Baumaschinen sind mit einer Viel- zahl von Sensoren ausgestattet. Sie registrieren Werte wie Dreh- moment und Beschleunigung der Ausleger, Druck, Gewicht, das an Seilzügen zieht, oder die Neigung des Bodens unter der Maschine. Auch hier zeigt die Simulation, ob die Kommunikation zwischen Ma- schine und Steuereinheit auf Ba- sis der Sensordaten präzise und verzögerungsfrei funktioniert. Technische Störungen lassen sich ebenfalls simulieren – etwa, was passiert, wenn an einer Gelenk- stelle ein Kabel bricht oder die Hy- draulik des Hebeelements Druck verliert. Sicherheit und Grenzsituationen Entscheidend beim Betrieb von Nutzfahrzeugen und Baumaschi- nen ist die Sicherheit. »Die Her- steller wollen wissen, was ihre Maschine in Grenzbereichen leis- tet und ab wann es kritisch wird«, sagt Christian Salzig. Der Simu- lator testet beispielsweise, was passiert, wenn eine Last anfängt zu pendeln oder Flüssigkeiten in einem Transportbehälter hin und her schwappen. Auch ein instabi- ler oder geneigter Untergrund, auf dem die Baumaschine steht, gehört zum Test-Parcours. Tele- skopbühnen müssen beispiels- weise in beengten Verhältnissen ihre Abstützungen platzieren. Mit den Hardware-in-the-Loop-Tests sehen die Produktentwickler, ab welchem Neigungswinkel der Di- gitale Zwilling instabil wird oder sogar umkippt. In einer realen Umgebung mit echten Maschinen wären solche Tests teuer und ris- kant. Der HiL-Simulator erledigt dies völlig gefahrlos für den Men- schen und es werden auch keine teuren Prototypen beschädigt oder gar zerstört. Rapid Prototyping für Baumaschinen Mit dem Teststand am Fraunhofer ITWM können die Hersteller die Praxistauglichkeit und Leistung ihrer Maschine schon in einem frühen Stadium der Entwicklung prüfen, nachbessern und opti- mieren. Alle Funktions- und Belas- tungstests können bereits in der Konzeptphase erfolgen und nicht erst, wenn der erste Prototyp fer- tig ist. Das Verfahren ist auch als Rapid Prototyping bekannt. Nutz- fahrzeug-Hersteller sind somit in der Lage, neue Produktgenera- tionen schneller und zu geringe- ren Entwicklungskosten auf den Markt zu bringen. Fraunhofer-Experte Salzig weist noch auf einen weiteren Vorteil hin: »Die Hersteller wollen natür- lich bei jeder neuen Produktge- neration Material einsparen, den Energieverbrauch senken, neue Funktionen integrieren und die Maschinen kleiner und mobiler machen.« Genau solche Verbesse- rungen macht Hardware-in-the- Loop möglich. In der Simulation finden die Expertinnen und Ex- perten heraus, ob eine bestimm- te gewünschte Eigenschaft oder Tragfähigkeit auch mit weniger Materialaufwand zu realisieren wäre oder ob dieselbe Leistung und Funktionalität nicht auch mit einer kleineren Maschine erreich- bar wäre. Ein besonders kom- pakter Mobilkran könnte dann beispielsweise an Standorten operieren, die für das Vorgän- germodell zu eng sind. Er würde trotzdem die gleichen Lasten he- ben und dieselbe Höhe erreichen. Bei der komplexen Testproze- dur halten die Expertinnen und Experten des Fraunhofer ITWM Kontakt zu den Herstellern. »Es ist nicht so, dass wir einen Auf- trag bekommen, dann alleine tes- ten und nach ein paar Monaten einen Testbericht schreiben. Wir arbeiten vielmehr während der gesamten Testreihe eng zusam- men und diskutieren gemeinsam die nächsten Schritte«, bestätigt Christian Salzig. Aktuell plant das Institut schon die nächste Erweiterung: die In- tegration der 5G-Funktechnik. Diese wird in den nächsten Jah- ren eine immer größere Rolle bei der drahtlosen Steuerung von Maschinen und Geräten in der In- dustrie spielen. Derzeit arbeitet das Fraunhofer ITWM an einer Schnittstelle, die den HiL-Simula- tor mit 5G-Sende- und Empfangs- modulen verbindet. Die HiL-Plattform des Fraunhofer ITWM ermöglicht Datenerfassung und -generierung vie- ler Signaltypen sowie komplexe Fehlersimulationen. Die Regelungsalgorithmen können auf den eigenen Steuereinheiten implementiert oder die originalen Kundensysteme eingebun- den werden. Foto: Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM Fortsetzung von Seite 1

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