RehaCare 2018

•••2••• Interview Mobilitätslotsen als Helfer an der Haltestelle DIEMESSE im Gespräch mit Kathleen Schwarz, iso, und Maurice Rekrut, DFKI Frau Schwarz, Herr Rekrut, beim Rehacare-Kongress „Wir fürs Quartier“ leiten Sie einen Themen- tisch zum Thema „Digitale Unter- stützungssysteme für Begleit- dienste mobilitätseingeschränkter Menschen im ÖPNV“ und stellen das Projekt mobisaar vor. Worum handelt es sich dabei genau? Kathleen Schwarz (KS): Teil- habe am gesellschaftlichen Le- ben setzt, wenn die Erreichbar- keit verschiedener Institutionen nicht gegeben ist, die Fähigkeit zur Mobilität voraus. Durch die zunehmende Komplexität und Geschwindigkeit des Straßen- verkehrs können Ängste und Ver- unsicherungen entstehen. Gera- de die Nutzung von Bus und Bahn ist für ältere oder mobilitätsein- geschränkte Menschen oft eine Herausforderung. Immer mehr Fahrgäste benötigen individuelle Unterstützung, um ihre täglichen Wege zurückzulegen. Hier setzen wir mit mobisaar an. Durch den Einsatz von Mobilitätslotsen und neuen Technologien leistet mo- bisaar einen Beitrag, bestehende Barrieren imÖPNV zu überwinden und mobil zu bleiben. Das Projekt „mobisaar – Mobilität für Alle“, das von neun Partnern umgesetzt und vielen weiteren Akteuren im Saarland unterstützt wird, ist ein vom Bundesministerium für Bil- dung und Forschung (BMBF) ge- fördertes Projekt. Sie, Frau Schwarz, sind als wis- senschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken tätig und forschen dort anwen- dungsorientiert zur Handha- bung von Technologien der Mensch-Technik-Interaktion. Was sind die Herausforde- rungen aus soziologischer Sicht, wenn der Mensch auf eine technologische Innova- tion trifft, die ihm das Leben erleichtern soll? KS: Die Herausforderung be- steht vor allem darin, eine Technologie zu entwickeln, die den unterschiedlichen Anforderungen der Kunden entspricht und nicht an ih- nen vorbeientwickelt wird. In mobisaar steht der Nut- zer im Mittelpunkt des Ent- wicklungsprozesses. Wir entwickeln die Buchungs- website sowie die Kunden- und Lotsen-App zusammen mit den Nutzern. Dafür finden in re- gelmäßigen Abständen Kunden- und Lotsen-Stammtische sowie Co-Entwickler-Workshops statt. Das Wichtigste dabei ist, den Nut- zern Vertrauen und Sicherheit in den Service und das technische System zu vermitteln, und ich denke, das ist uns gut gelungen. Herr Rekrut, Sie arbeiten am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, wo Sie quasi die technische Seite der Schnittstelle Mensch-Maschine erforschen. Mit welchen Schwie- rigkeiten haben Sie zu kämpfen, wenn Sie der Technik beibringen wollen, mit dem Menschen zu kommunizieren? Maurice Rekrut (MR) : Jeder Mensch hat individuelle Bedürf- nisse an technologische Schnitt- stellen. Die Herausforderung besteht deshalb darin, die Tech- nik bestmöglich an die Bedürf- nisse der Zielgruppen anzupas- sen. Um dies zu gewährleisten arbeiten wir nutzerzentriert, wie Frau Schwarz schon erläuterte. Verschiedene Nutzergruppen werden dabei durch einzelne so- genannte „Co-Entwickler“ in mo- natlichen Workshops vertreten und schildern uns Probleme bei der Nutzung der Schnittstellen. Im Verlauf des Treffens werden für die auftretenden Probleme in der Gruppe Lösungsansätze aus- gearbeitet und diese auch aktiv in erste Prototypen, oft einfach mit Stift und Papier oder in Zeich- nungen an der Tafel, umgesetzt. Uns spart das Zeit bei der Ent- wicklung, da wir uns strikt an die Prototypen der Co-Entwickler hal- ten und nicht erst mehrere eigene Vorschläge ausgearbeitet und mit der Zielgruppe besprochen wer- den müssen. Den Nutzern gibt es die Möglichkeit, eigene Ideen di- rekt in den Entwicklungsprozess einfließen zu lassen und diese im Alltag zu testen. Auf diese Weise versuchen wir, die Technik best- möglich an die Bedürfnisse der Zielgruppe anzupassen. Für mobisaar wird „intelligente Technik“ eingesetzt, heißt es auf der Projektwebseite. Was heißt das konkret? MR: Die Technik arbeitet bei mobisaar hauptsächlich im Hintergrund. Ein intel- ligentes Backend-System koordiniert die Lotsenein- sätze und bringt Fahrgast und Lotse zum vereinbarten Zeitpunkt zusammen. Wel- chem Lotsen welche Fahrt das System zuweist, wird dabei auf die Bedürfnisse des Fahrgastes, die Verfüg- barkeit des Lotsen und die gewünschte Route im ÖPNV personalisiert zugeschnit- ten. Des Weiteren setzen wir auf Crowdsourcing-Ele- mente, um eine Datenbank mit Informationen zur Barri- erefreiheit von Haltestellen aktuell zu halten und damit unsere Routingalgorithmen so barrierefrei wie möglich zu hal- ten. Wie gut kommt die Zielgruppe – zumeist ältere, in ihrer Beweg- lichkeit eingeschränkte Personen – mit dem Online-Serviceange- bot zurecht? Ältere Menschen tun sich ja häufig schwer mit Internet, Computern und Smartphone. MR: Wir wissen, dass wir nicht jeden Kunden mit Technologien wie Smartphone-Apps und Web- seiten erreichen können. Es ver- fügen zwar nicht alle über ein Smartphone, aber immer mehr sind zu Hause online unterwegs. Ein Großteil der Zielgruppe sieht jedoch die Vorteile, diese Zu- gangswege zu nutzen. Es gibt keine Wartezeiten in der Kunden- hotline, die anstehenden Fahrten können immer aufgerufen, ge- ändert oder storniert werden. Dennoch war von Anfang an klar, dass wir den „klassischen“ Kom- munikationsweg über das Telefon weiterhin anbieten müssen. Über die mobisaar-Kundenhotline kann man den Service auch telefonisch buchen. Dies ist auch aus sozialen Aspekten sinnvoll, denn oft ge- hören diese Gespräche zu den wenigen, die unsere Kunden am Tag führen. Darüber erreichen wir auch die Nutzer, die sich neuen Technologien, meist mit Verweis auf ihr fortgeschrittenes Alter, verweigern. Für gehbehinderte Menschen ist die Benutzung von Bussen und Straßenbahnen nicht immer ein- fach. Der Einstieg in den Bus mit Rollator ist riskant und der Kauf der Fahrkarte am Automaten erweist sich als Abenteuer. Hier hilft das Projekt mobisaar, das die Saarbrücker Verkehrsbetrie- be mit verschiedenen Partnern durchführen. Projektmitarbeiter Kathleen Schwarz und Maurice Rekrut erzählen im Gespräch mit DIE MESSE , wie sie digi- tale Technologien und Lotsen einsetzen, um mobilitätseinge- schränkten Personen die Benut- zung des ÖPNV zu erleichtern. Kathleen Schwarz, Wissenschaft- liche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung und Sozialwirt- schaft (iso) in Saarbrücken Foto: STUDIOLINE PHOTOGRAPHY Saarbrücken Maurice Rekrut amWhiteboard beim Co-Entwickler-Workshop Foto: DFKI GmbH Maurice Rekrut, Researcher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) Saarbrücken Foto: DFKI GmbH Telefon-Hotline

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