Medica 2019

•••3••• Interview Unabhängig mit Rolli und Kind unterwegs DIEMESSE im Gespräch mit Dipl.-Ing. Michael Weber, TU Kaiserslautern Herr Weber, die TU Kaiserslau- tern ist auf der Medica in Halle 7a, Stand B06. Was zeigen Sie dort? Die TU Kaiserslautern ist in die- sem Jahr mit insgesamt drei Ex- ponaten am Gemeinschaftsstand Rheinland-Pfalz vertreten. Zwei Exponate zeigen aktuelle Forschungsergebnisse zum The- ma Bildverarbeitung aus dem Fachbereich Informatik. Wir vom Lehrstuhl für Konstruktion im Maschinenbau und der Fahrzeug- technik freuen uns, dieses Jahr eine in dieser Form noch nicht be- kannte Lösung zur Kinder- sitzbefestigung an einem Rollstuhl vorzustellen. Es handelt sich dabei um ein Schienensystem, welches über einen Adapter flexibel an elektrischen Rollstühlen befestigt werden kann. Am Schienensystem selbst wird ein handelsüblicher Fahrrad- kindersitz montiert. Besonders stolz sind wir, dass die Entwicklung des gezeigten Prototyps im Rah- men von mehreren studen- tischen Projekten erfolgte. Gestartet sind wir mit einem Konstruktionswettbewerb, bei dem sich studentische Teams mit der Ideenfindung und der Entwicklung von ersten konzeptionellen 3D-Modellen be- fasst haben. Anschließend wurde die aus unserer Sicht am besten geeignete Lösungsvariante aus- gewählt und von unserem Studen- ten Johannes Imhoff – während der Anfertigung seiner Projekt- und Bachelorarbeit – zum Proto- type weiterentwickelt. Wie funktioniert dieser Kindersitz am Rollstuhl genau? Kernelement unserer Lösung ist das innovative Schienensystem. Dieses ist mittels einer aus dünn- wandigen Rohren bestehenden Tragstruktur am Rollstuhl be- festigt und schwingt sich gebo- gen um den Rollstuhl. Über eine bewegliche Laufeinheit erfolgt die Anbindung des Kindersitzes an das Schienensystem. Über ei- nen Drehhebel kann der Sitz in jede beliebige Position gebracht werden. Ein Kind kann auf diese Weise mit wenigen Handgriffen direkt von der Fahrerin oder dem Fahrer in den Sitz gesetzt werden, wenn sich der Sitz rechts von ihr oder ihm befindet. Im Anschluss kann der Sitz mithilfe eines Dreh- hebels hinter den Rollstuhl positi- oniert werden. Der Rollstuhl wird dadurch nicht wesentlich breiter und ist weiterhin uneingeschränkt nutzbar. Für welche Zielgruppe ist dieses Schienensystem für Kindersitze geeignet? Ich könnte mir vorstel- len, dass es nicht so einfach ist, ein Kind in den Sitz zu heben. Die Zielgruppe sind ganz klar Men- schen mit einer Gehbehinderung, welche auf die Nutzung eines Roll- stuhls angewiesen sind. Aufgrund der zusätzlichen Masse des Kin- dersitzes und auch des Kindes ist das Schienensystem aktuell noch auf die Anwendung an elektri- schen Rollstühlen beschränkt. Bei der Entwicklung haben wir darauf geachtet, dass das Schienen- systemmöglichst nah am ei- gentlichen Rollstuhl verläuft und somit das Kind relativ einfach in den Sitz zu heben ist. Weiterhin erleichtert die flexible Positionierung des Sitzes das Handling. Je nach individuellen Bedürf- nissen kann die Position des Kindersitzes, an welcher das Kind in diesen gehoben wird, gewählt werden. Der Kurbelmechanismus, über den der Sitz in seine hinte- re Position gefahren wird, ist möglichst nahe an den schon vorhandenen Bedie- nelementen des Rollstuhls platziert, um auch hier eine möglichst einfache Betäti- gung zu erreichen. Wie ist die Idee zu dieser Erfindung entstanden? Auf die Idee zu diesem Produkt hatte den Fachbereich Maschinen- bau und Verfahrenstechnik eine Rollstuhlfahrerin gebracht, die bei keinem Anbieter eine Möglichkeit gefunden hatte, ihr Kind sicher im Rollstuhl mit zu transportieren. Die Rollstuhlfahrerin tauscht über den Blog „Wheelymum“ ihre Er- fahrungen aus. Während eines gemeinsamen Treffens an unse- rer Universität wurden Details besprochen und auf diesem Weg der Startschuss zur Entwicklung des Prototyps gegeben. Die Medica gilt als globale Leitmes- se der Medizintechnik-Branche. Was erhoffen Sie sich von dem Messeauftritt? In erster Linie erhoffen wir uns, das Interesse von Unternehmen zu wecken. Wir möchten gerne zeigen, dass unsere Idee funktio- niert, und würden uns freuen, mit einem Partner aus der Industrie den Prototype zu einemmarktrei- fen Produkt weiterzuentwickeln. So könnten möglichst viele der betroffenen Menschen von der Idee profitieren. Generell sind wir natürlich auch an weiteren Kon- takten im Hinblick auf unser For- schungsprofil interessiert. Sie arbeiten am Lehrstuhl für Kon- struktion in Maschinenbau und Fahrzeugtechnik der TU Kaisers- lautern und beschäftigen sich dort normalerweise mit ganz anderen Entwicklungsaufgaben. Wollen Sie zukünftig den Bereich der Medizin- technik mit abdecken ? Das ist richtig, normalerweise liegt unser Fokus auf dem Tech- nologiefeld der Nutz- und För- derfahrzeugtechnik sowie der additiven Fertigung (3D-Druck). Persönlich beschäftige ich mich mit der Entwicklung von auto- matisierten Fahrzeugen für die innerbetriebliche Logistik. Da die Arbeitsmethoden in einem Ent- wicklungsprozess in vielen Fällen übergreifend anwendbar sind, freuen wir uns auch immer auf interessante Fragestellungen aus anderen Bereichen des Maschi- nenbaus, welche sicher, gerade in Bezug auf unsere Kompetenz in der additiven Fertigung, auch der Medizintechnik entstammen können. Für Rollstuhlfahrer ist der All- tag nicht immer leicht. Wer oh- ne Hilfe durchs Leben kommen will, hat mangels Barrierefrei- heit vielerorts mit Schwierig- keiten zu kämpfen. Noch kom- plizierter wird es, wenn man sein kleines Kind mitnehmen will – so wie dies Radfahrer wie selbstverständlich mit einem Kindersitz tun. Nachwuchswis- senschaftler an der TU Kaisers- lautern haben nun ein System entwickelt, mit dem genau das möglich ist: Ein Kindersitz ist an einem gebogenen Schienen- strang am Rollstuhl befestigt. Dipl.-Ing. Michael Weber vom Lehrstuhl für Konstruktion in Maschinenbau und Fahrzeug- technik hat die Entwicklung be- treut und erzählt im Gespräch mit DIE MESSE , wie das Sys- tem funktioniert. Dipl.-Ing. Michael Weber, Institute for Mechanical and Automotive Design an der TU Kaiserslautern Foto: privat Intelligentes Schienensystem Mit einem kleinen Schaltknüppel kann der Kindersitz in seiner Position auf der Schiene bewegt wer- den, beispielsweise um ihn aus der seitlichen Position hinter den Rollstuhl zu platzieren. Foto: TU Kaiserslautern / Koziel Michael Weber (li.) und Johannes Imhoff werden die Technik auf der Medica vorstellen. Foto: TU Kaiserslautern / Koziel Entwicklung bis zur Marktreife

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