A+A 2021
•••2••• Innovationen Virusgrill, Filter,Viruzide Innenraumluft effektiv von Viren befreien Das beleuchten Forscher aus ins- gesamt 15 Fraunhofer-Instituten und Einrichtungen unter der Feder- führung des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP im Fraunhofer- Projekt AVATOR, kurz für „Anti- Virus-Aerosol: Testing, Operation, Reduction“. Sie untersuchen und optimieren dabei auch neue Reini- gungstechnologien, die bisher noch nicht auf demMarkt sind. Klassische Raumluftfilter Die bekannteste Raumluftreini- gung erfolgt durch die klassischen Raumluftfilter. Sie ziehen die Luft durch ein Filtervlies, in dem die Vi- ren hängenbleiben, und geben die gereinigte Luft wieder in den Raum ab. Wie solche Geräte wirkungsvoll eingesetzt werden können, zeigen Simulationen des Fraunhofer EMI anhand eines Klassenraums: Mit einer sinnvoll eingestellten Luft- austauschrate und geeigneter Po- sitionierung kann die Aerosolkon- zentration nach 10 bis 15 Minuten Betrieb auf etwa die Hälfte redu- ziert werden. Die Simulationen zei- gen auch: Die Aerosolkonzentration hängt von den konkreten Gege- benheiten ab und ist nicht für alle Positionen im Klassenraum gleich. Um die Raumluft noch besser von den beim Atmen ausgestoßenen Aerosolen – vor allem von deren Virenlast – befreien zu können, ha- ben die Forscher vom Fraunhofer LBF und IAP die Kunststoffe für die Vliesherstellung mit Additiven ver- sehen. „Die Filterwirkung der Vlie- se beruht auf drei verschiedenen Mechanismen“, erläutert Prof. Dr. Gunnar Grün, stellvertretender Lei- ter des Fraunhofer IBP und Leiter des Projekts AVATOR. „Große Parti- kel passen nicht durch das Vlies hin- durch, sie werden herausgesiebt. Etwas kleinere Partikel werden ausgebremst, sie bleiben durch die Trägheit imVliesmaterial hängen. Die polaren Additive wirken sich auf die Filterleistung bezüglich der kleinsten Partikel aus, welche auf- grund vonOberflächeneffekten am Filtermaterial haften.“ Eben diese Oberflächeneffekte verändern die Wissenschaftler durch die Additive, so dass die kleinsten Partikel effizi- enter herausgefiltert werden. Da die Gesamt-Filterleistung durch die am wenigsten abgeschiedene Par- tikelgröße bestimmt wird und dies meist sehr kleine Partikel (um die 200 µm bis 300 µm) sind, lässt sich die Effizienz durch diese Beschich- tung noch einmal steigern. Zwar gibt es bereits Ansätze, die Filter- leistung durch Additive zu verbes- sern. Doch sind die so optimierten Filtervliese auf die üblichen ölba- sierten Prüfaerosole ausgelegt. Die Aerosole, die Menschen an die Luft abgeben, sind jedochwasserbasiert und verhalten sich daher anders. „Wir konnten insbesondere die Ef- fizienz bei diesen Bio-Aerosolen er- höhen“, sagt Grün. Entsprechende wasserbasierte Testaerosole gene- rieren die Forscher am Fraunhofer IMM auf Basis von Liposomen, zu- sammenmit einemGerät zumopti- schen Nachweis von Viruspartikeln in Raumluft. Luftreinigung durch Plasma So gut die Raumluftfilter in Klas- senräumen und Co. auch funktio- nieren: In Umgebungen wie zum Beispiel kalten und feuchten Kühl- räumen oder Schlachthöfen sto- ßen sie an ihre Grenzen – insbeson- dere wenn es um Nachrüstungen geht. Um hier keinen zusätzlichen Luftwiderstand in das System ein- zubauen, bieten sich Reinigungs- anlagen, die unter Verwendung von Niedertemperaturplasma die Luft von Viren befreien. Die Viren bleiben dabei nicht an Filtervliesen hängen, sondern werden im Plas- magerät deaktiviert und an Elektro- den abgeschieden. Auch hier konn- te die Fraunhofer-Forschergruppe im Projekt AVATOR Verbesserun- gen erzielen. „Unsere Kolleginnen und Kollegen vom Fraunhofer IPM haben auf Basis der Technologie eines Industriepartners aus dem Automobilbereich selbstreinigende Elektroden entwickelt – die übliche Abreinigung entfällt dabei“, erläu- tert Grün. „Virusgrill“: Übertemperaturste- rilisation Raumluftfilter und Plasma entfer- nen die Viren aus der Raumluft. Einen gänzlich anderen Ansatz, um Ansteckungen zu vermeiden, wählen die Forscher mit dem „Vi- rusgrill“: Sie erhitzen die Luft auf über 90 Grad Celsius und machen die Viren somit unschädlich. Zwar verbleiben die Viren in der Luft, können sich allerdings nicht mehr vermehren – sie sind inaktiviert – und können den Menschen somit auch nichts mehr anhaben. Das Fraunhofer IFAM in Dresden konn- te bereits zeigen, dass das Prinzip funktioniert. Durch die sehr hohe Wärmerückgewinnung wird ein energieeffizienter Betrieb der Luft- reinigung ermöglicht und die Wär- mezufuhr an den Raum minimiert. Dies ist insbesondere in Klassen- zimmern, Büros und anderen nicht klimatisierten Räumenwichtig. Der- zeit entwickeln die Wissenschaftler die Apparatur weiter. Insbesondere die Miniaturisierung steht auf der Agenda. Büroraumteiler Einen Ansatz, der insbesondere in Großraumbüros zum Tragen kommt, haben Fraunhofer ICT und Fraunhofer IBP mit einem Produ- zenten von Schaumstoffen entwi- ckelt. Sie nutzen schallabsorbieren- de Raumteiler, umdie Luft von ihrer Virenlast zu befreien und die Anste- ckungsgefahr zu minimieren. „Die gesamte Oberfläche des Schaum- stoffs wird mit einem antimikrobi- ellen Silbercompound beschichtet – so könnenwir bei Durchströmung eine hohe Vireninaktivierung errei- chen“, fasst Grün zusammen. Ei- nen Demonstrator gibt es bereits. Dabei kommt auch die schallschlu- ckende Funktion nicht zu kurz: Ins- besondere im Bereich der mensch- lichen Sprache, also bei etwa 1000 bis 4000 Hertz, besteht eine hohe Schallabsorption. Viruzid zur Raumdesinfektion Sollen Räumlichkeiten, die nicht belegt sind, gereinigt werden, kommen Viruzide zum Einsatz. Al- lerdings müssen diese Gefahrstof- fe üblicherweise zum Einsatzort transportiert und bis zu ihrer Ver- wendung gelagert werden. Die For- scher des Fraunhofer IMM haben daher eine praktischere Alternative entwickelt: einen mobilen Reaktor, der das Viruzid Peroxodicarbonat aus einer harmlosem Natriumcar- bonat-Lösung herstellt. Das Viruzid selbst zerfällt in eben- falls harmlose Produkte. Der Reak- tor funktioniert bereits, am Fraun- hofer ITEM werden derzeit die Toxizitätsversuche durchgeführt – also untersucht, wie intensiv die Wirkung des Viruzids auf Mikroor- ganismen ist und ob eine kritische Belastung für Mensch und Umwelt aus der Anwendung resultiert. Variierung der Technologien mit Virusnachweis Seien es klassische Raumluftfilter, seien es Virusgrill oder Raumteiler: Die Reinigungstechnologien müs- sen genauestens auf ihre Effizienz überprüft werden. Mit dieser Va- lidierung beschäftigen sich drei Fraunhofer-Institute: das Fraunho- fer ITEM, das Fraunhofer IBP und das Fraunhofer IGB. Dort werden für Menschen ungefährliche, nicht pathogene Viren vernebelt, die den SARS-CoV-2-Viren allerdings hin- sichtlich Größe, umhüllender Struk- tur und RNA-Strang ähneln. Diese sogenannten Surrogatvirenwerden skaliert produziert und gereinigt, als Testaerosole formuliert und als solche für die verschiedenen Rei- nigungstechnologien vernebelt. Um zu überprüfen, wie effektiv die neuen Inaktivierungsverfahren sind, analysieren die Forscher die Infektiosität und vergleichen die Gesamtzahl der Viren vor und nach der Inaktivierung. Numerische Simulation der Aerosolausbreitung in einem Klassenzimmer: Eine infizierte Per- son sitzt in der vorderen rechten Ecke des Klassenzimmers. Die ausgewählte Schnittebene zeigt die Konzentrationsverteilung des virenhaltigen Aerosols. Ein Raumluftreiniger filtert die aerosolbeladene Luft und führt sie gereinigt zurück. Foto: Fraunhofer EMI Beim »Virusgrill« wird die Luft auf über 90 Grad Celsius erhitzt und die Viren somit unschädlich gemacht. Foto: Fraunhofer IFAM Fortsetzung von Seite 1
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