AGRITECHNICA 2017

•••3••• Interview Intelligenter Erntehelfer amWeinhang DIEMESSE im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas Herlitzius, TU Dresden Herr Prof. Herlitzius, warum ist Automatisierung für die Landwirt- schaft der Zukunft wichtig? Die Automatisierung von Ma- schinen und Verfahren in der Landwirtschaft ist aktuell der wichtigste Entwicklungstrend, da Produktivitätssteigerungen nicht allein über das Wachstum von Leistung, Arbeitsbreite oder Arbeitsgeschwindigkeit erzielt werden, sondern vielmehr durch intelligente Prozessführung die installierte technische Leistung auch effektiv ausgelastet werden kann. Zusätzlich eröffnen Tech- nologien der Digitalisierung völlig neue Perspektiven in der maschi- nenübergreifenden Automatisie- rung der Verfahren. Wir sprechen dann von Smart Farming, Farming 4.0 oder Precision Agriculture. Anwendungsfelder für die in- formationsgeleitete Pflanzen- produktion finden sich in allen wesentlichen Arbeitsschritten des ackerbaulichen Produktions- prozesses und unterstützen die vereinfachte, umfassende und räumlich wie zeitlich differenzier- te Planung, Steuerung und Doku- mentation der durchgeführten Maßnahmen. Informationskreis- läufe werden geschlossen, in- selartige Anwendungen werden künftig durch vernetzte Systeme ersetzt. Mit ELWOBOT entwickeln Sie an der TU Dresden einen Plantagen- roboter, der autonom durch Obst- und Weinplantagen fahren kann. Welche Aufgaben meistert das System bereits? Es soll zunächst in der Lage sein, selbstständig in der Plantage und zwischen den Baumreihen zu na- vigieren, Pflanzenschutz- maßnahmen durchzuführen und innerhalb der Fahrgasse zu mulchen. Spätere Aufga- ben beinhalten die Aufnah- me und den Transport von Ernteboxen aus den Baum- reihengassen zur Sammel- stelle, Baumbestands- und Ertragskontrolle sowie das Detektieren und Protokol- lierung des Fallobstaufkom- mens. Dazu ist das System ähnlich einem Geräteträger modu- lar aufgebaut, sodass die elektrifizierte Trägerplatt- form mit entsprechenden prozessspezifischen Appli- kationen und Sensorpake- ten konfiguriert werden kann. Arbeitsaufgabe und Wege sind vorgeplant und mittels der implementierten Sensorik zur Er- kennung der Obstbäume, Weinre- ben und eventueller Hindernisse wird entsprechend der aktuellen Situation navigiert. In der ersten demonstrierten Anwendung wur- de im Herbst 2016 laubwandspezi- fisch Spritzmittel mit sechs Einzel- gebläsen differenziert verteilt. Als Entwicklungspartner waren hier die Hochschule Osnabrück für die Sensorik und die Hochschule Gei- senheim mit der neuen segment- gesteuerten Spritze beteiligt. Die Trägerplattform wurde von der Firma Raussendorf gefertigt und die Elektrifizierung erfolgte mit Komponenten der Firma KEB. Wo kommt der Roboter noch an seine Grenzen? Maschinenkonzept und Funktion wurden in der ersten Anwendung erfolgreich umgesetzt und sind von den beiden Testbetrieben, Obstland Sachsen und Weingut Proschwitz, akzeptiert worden. Besonders die Robustheit der Automatisierungslösungen lässt aber noch zu wünschen übrig, was für diese frühe Phase der Er- probung kein unnormaler Zustand ist. Durch weitere Praxisversuche müssen noch viele Kinderkrank- heiten behoben werden. Weiterhin sind die im Funktions- muster verbauten Komponenten zu teuer, sodass in Richtung Se- rienprodukt eine Überarbeitung erfolgen wird. Schließlich ist die funktionale Sicherheit im autono- men Einsatz und in Kooperation mit dem Bediener nachzuweisen. ELWOBOT soll sich durch gu- te Manövrierfähigkeit aus- zeichnen. Wie gelingt dies? Die Maschine ist in drei ver- schiedenen Größenklassen konzipiert und wiegt jetzt in der mittleren Ausbaustufe 1,5 Tonnen und ist 1,4 Meter breit. Das Fahrwerk basiert auf einem modular aufge- bauten elektrischen System mit vier elektrischen Einzel- radantrieben und einer All- radlenkung, die durch die Portalbauweise sehr große Lenkwinkel realisieren kann. Das Fahrzeug kann damit sogar auf der Stelle drehen und ist durch die Ansteue- rung von Lenkwinkel und Raddrehzahl jedes einzelnen Rades in jeder Geländebe- dingung und Beladung gut kont- rollierbar. Den Menschen „aus Plantagen und Feldern herauszuautomatisieren“, ist nicht Ihr Ziel. Wie sieht das Mensch- Maschine-Zusammenspiel in der „Landwirtschaft 4.0“ künftig aus? An vielen Stellen im Bereich der Landwirtschaft ist eine Vollauto- matisierung noch nicht absehbar. Gründe hierfür sind unter ande- rem die technologische Komple- xität und entsprechend hohe Kosten, fehlende Sensorik für die Datenerfassung, fehlende theo- retische Modelle zur Prozessbe- schreibung sowie entsprechende Algorithmen, Sicherheitsaspekte beim Einsatz automatisierter Ab- läufe und autonom arbeitender Maschinen sowie ethische und moralische Aspekte, die im Kon- text der Automatisierung zu be- trachten sind. Die Entwicklungen im Bereich der Agrartechnik füh- ren zu einem Wandel des Anfor- derungsprofils an Arbeitnehmer in der Landwirtschaft. Diese Ent- wicklung von Landmaschine zum cyber-physischen Agrarsystem erfordert folgerichtig eine neue Form der Mensch-Maschine-Ko- operation. Deshalb hinterfragen wir die vorherrschenden technik- zentrierten Ansätze und wollen eine menschzentrierte Perspekti- ve zur Gestaltung von Automati- sierungslösungen, die die Fähig- keiten, Variabilität und besonders die Lernfähigkeit des Menschen von Anfang an in die Automatisie- rungskonzepte einbeziehen. Ein Ausblick: Welche Ideen haben Sie für die Weiterentwicklung des Robotersystems in der Schublade? Es gibt eine ganze Reihe von wei- terführenden Ideen, die über den überschaubaren Markt des Obst- undWeinbaus hinaus auf die Breite der Agrarproduktion zielen. Auch eine Synergie zu den Baumaschi- nen liegt auf der Hand. Dabei ver- suchen wir immer die Lösung vom Prozess her zu denken und beste- hende Maschinenkonzepte nicht als selbstverständlich anzusehen. Mit dem vom BMBF geförder- ten Regionalen Wachstumskern Feldschwarm konnten wir im Juli dieses Jahres ein Projekt starten, das in einem Konsortium von Fir- men, der TU Dresden und zwei Fraunhofer-Instituten vernetzte und autonom agierende Maschi- nenschwärme in der Bodenbear- beitung entwickelt. Diese sollen mit elektrischen Antrieben ausge- stattet sein und aus leichtbauge- fertigten Einheiten bestehen, die mit unterschiedlichen Werkzeug- modulen je nach Arbeitsaufgabe konfiguriert werden können. Im Schwarmverband fährt ein von einem Menschen geführtes Ge- spann. Der Fahrer überwacht von dort aus die autonom folgenden Einheiten, die sich dem Bediener gegenüber wie ein großes Gerät präsentieren, aber teilflächenspe- zifisch und selbstständig den Ar- beitsprozess durchführen. Mit ELWOBOT haben Forscher der TU Dresden einen Roboter entwickelt, der autonom auf Obst- und Weinplantagen agie- ren kann. Welche Aufgaben der smarte Erntehelfer bereits meis- tert und wo er noch an seine Grenzen stößt, erläutert Agrar- technik-Experte Professor Tho- mas Herlitzius im Gespräch mit DIEMESSE . Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas Herlitzius, Professur für Agrar- systemtechnik, Fakultät Maschinenwesen, TU Dresden Foto: TU Dresden Vernetzte Systeme Synergie zu Baumaschinen Ackert selbstständig durch Plantagen und Baumreihen: ELWOBOT hat erste Testläufe be- reits erfolgreich gemeistert, muss aber noch robuster werden. Foto: TU Dresden

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