Blechexpo 2017

•••2••• Interview Leichtbau-Trend erfordert neue Ideen DIEMESSE im Gespräch mit Dr.-Ing. Norbert Wellmann, Geschäftsführer der EFB Herr Dr. Wellmann, die Europäi- sche Forschungsgesellschaft für Blechverarbeitung e. V. (EFB) ist auf der Messe Blechexpo in Hal- le 9 am Gemeinschaftsstand 9511 zu finden – zusammen mit fünf wissenschaftlichen Instituten und sechs Unternehmen. Welche Schwerpunkte setzen Sie in Stutt- gart? Unser Gemeinschaftsstand prä- sentiert neben der Wissenschaft innovationsorientierte KMU und deren spezielle Anwendungen. Die Institute geben Einblick in ihre aktuellen Projekte und aus- gewählte Kompetenzen, die sich mit Verfahrenssimulation, Er- weiterung der Prozessgrenzen in den Bereichen Stanz- und Um- formtechnik, Fügetechnik, der Kombination von additiven und umformenden Verfahren oder dem Robotereinsatz befassen. Die Firma Göbel aus Erkrath zeigt einen neuartigen korrosionsbe- ständigen Dicht-Becher-Blindniet. Die Unternehmen EMG Automa- tion und DUMA Bandzink präsen- tieren mit ihren Partnern aus der „Quality Alliance“ Systeme und Lösungen für die Qualitätssiche- rung und Qualitätskontrolle für die Stahlindustrie, wie Schmier- stoffapplikatoren und Ölaufla- genmessgeräte. Laut Selbstbeschreibung initiiert und fördert die EFB Projekte der anwendungsnahen Forschung und unterstützt die Umsetzung der Ergebnisse in den Industriebe- trieben, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen. Wie ist die Idee entstanden, eine solche Gesellschaft wie die EFB zu grün- den? Was sind Ihre Ziele? Entstanden ist die Idee der In- dustrieforschung aus der Situation nach dem Zwei- ten Weltkrieg, als sich die BlechverarbeNobelitung von einer eher handwerk- lichen zur industriellen Fertigung zu entwickeln begann. Unter nehmen schlossen sich zusammen, um einheitliche Standards und Normen für die Werk- stoffqualität, zum Beispiel Stahlgüten und das Werk- stof fverhalten, wie die Verarbeitbarkeit in der Um- formpresse und beim Fü- gen bei wissenschaftlichen Einrichtungen, zu erarbei- ten. Diese Projekte, die dem allgemeinen Erkennt- nisgewinn dienten, sind die Initialzündung für die vorwettbe- werbliche Industrielle Gemein- schaftsforschung. Inzwischen gibt es das für mehr als 100 Forschungsvereinigungen aus den unterschiedlichen Bran- chen. Unter dem Dach der Ar- beitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) e. V. als Projektträger fördert das BMWi die Industrielle Gemein- schaftsforschung (IGF) mit 169 Millionen Euro im Jahr 2017. Die EFB organisiert und fördert ak- tuell über 150 Projekte mit etwa 450 beteiligten Unternehmen; dies ist eine beachtliche Größe. Doch zurück zur Blechverarbei- tung: Seit den 1950er Jahren hat sich eine vielfältige Forschungs- landschaft entwickelt. Es gibt circa 60 Lehrstühle und Institu- te, die sich mit allen Fragen der Blechverarbeitung beschäftigen: vom Werkstoff im Coil über die Produktionstechnologien des Umformens, Fügens, Schneidens, die dazu nötigen Maschinen, Sys- temteile, das Bauteilverhalten, Messen und Prüfen der Teile, die Prozesskontrolle und Qualitätssi- cherung, die Simulation und Tri- bologie – und in den letzten Jah- ren verstärkt die Digitalisierung der Prozesse. Immer größer geworden ist auch der Kreis der Unternehmen, die sich an diesem Erkenntnisge- winn beteiligen, um Trends zu erkennen und die Zusammenar- beit mit Kunden und Lieferanten zu verbessern. In den Projekten diskutieren beispielsweise Alu- minium-Erzeuger mit Automobil- Herstellern, Pressenherstellern, Stanzern, Umformern und Fü- gern sowie Softwareentwick- lern über neue Werkstoffe und Fertigungstechnologien. Das hilft vielen mittelständischen Unternehmen, ihre eige- nen Investitions- und Ge- schäftsplanungen auf die zukünftigen Anforderun- gen in der gesamten Bran- che einzustellen. Und ge- rade in Deutschland ist ein starker Mittelstand die tra- gende Säule unseres Wohl- standes. Sie sehen, es geht hier nicht um so abgehobene Themen wie Gravitationswellen, für die es gerade den Nobel- preis gegeben hat, sondern um die volkswirtschaftlich relevante Weiterentwick- lung der Fertigungstechno- logien und letztendlich um die Steigerung der Produk- tivität. Da lohnt es sich mitzuma- chen, vor allem für Mittelständler und KMU, die keine eigene F&E betreiben können. Eines Ihrer Forschungsthemen befasst sich mit dem Korrosions- und Alterungsverhalten hybrider Strukturen aus Blech und Kunst- stoff, die ja für den Leichtbau im- mer größere Bedeutung erhalten, beispielsweise im Automobilbau. Können Sie das genauer erläu- tern? Sie sprechen da ein Projekt an, an dem gerade drei Institute der Universität Paderborn arbeiten. Hybride Metall-CFK-Strukturen, wie zum Beispiel hoch belastete Stoßfänger oder Dachquerträ- ger, die durch eine kombinierte Umformung und Aushärtung ei- nes Prepregs hergestellt werden, besitzen ein großes Leichtbaupo- tenzial und sind daher besonders für den Automobilbau mögliche Lösungen. Für einen erfolgreichen und si- cheren Einsatz in der Serien- produktion müssen jedoch die Korrosions- und Alterungsme- chanismen in der Grenzschicht solcher Bauteile hinreichend genau bekannt sein. Die Degra- dation der Adhäsion zwischen ausgehärteter CFK-Matrix und metallischem Bauteil wird zu- sätzlich aufgrund der stark unter- schiedlichen elektrochemischen Potenziale der in Kontakt stehen- den Einzelwerkstoffe (C-Fasern, Metalle) beeinflusst, weshalb es zu einem komplexen Korrosions- und Alterungsverhalten kommt. Diese Vorgänge in der Grenz- schicht zwischen Metall und CFK- Patch werden systematisch un- tersucht und optimiert. Welche Trends in den Technologi- en der Blechverarbeitung und bei der Forschung sehen Sie derzeit? Wo liegt das größte Potenzial für Innovation und Nachhaltigkeit? Die großen Trends sind natürlich die bekannten und zum Teil auch immerwährenden. Ökonomie und Ökologie erfordern nachhal- tige und leichte Materialien. Die Produkte müssen erschwinglich sein, damit möglichst alle Men- schen in unserer Gesellschaft an modernen, hochwertigen und schönen Produkten teilhaben können und eine Wettbewerbs- fähigkeit der Unternehmen in- ternational und untereinander entsteht. Der Trend Leichtbau umfasst ei- ne Vielzahl von Technologiebe- reichen, die neue Ideen und gu- te Lösungen erfordern. Wie und welche Werkstoffe lassen sich in einem intelligenten Mischbau verbinden und verarbeiten? Wel- che Methoden, Maschinen und Werkzeugtechnologien können dies umsetzen? Dies sind kons- tante Fragen in etwa 70 Prozent unserer Projekte. Das neue Schlagwort ist Indus- trie 4.0. Hierzu hat die EFB eine Technologie- und Forschungs- Roadmap mit Top-Experten aus Industrie und Wissenschaft er- stellt, und bisher sind eine Reihe von Forschungsprojekten dazu in Planung oder kurz vor dem Start. Hier geht es um intelligente Ferti- gungsmethoden und intelligente Nutzung und Verarbeitung von Daten. Dies greift nun weiter als bei einer herkömmlichen Auto- matisierung einer Anlage, da in Zukunft die gesamte Prozessfol- ge zu betrachten ist. Heute wird bereits an vielen Teilaspekten entwickelt, aber es ist noch ein weiter Weg bis zur selbstoptimie- renden autonomen Fabrik. Leichtbau und Industrie 4.0 sind Trends in der blechverar- beitenden Industrie. Die Euro- päische Forschungsgesellschaft für Blechverarbeitung e.V. (EFB) fördert anwendungsnahe For- schung. Dabei gehe es nicht um Nobelpreise, sagt EFB-Ge- schäftsführer Dr.-Ing. Norbert Wellmann, „sondern um die volkswirtschaftlich relevante Weiterentwicklung der Ferti- gungstechnologien“. Im Ge- spräch mit DIEMESSE erzählt er mehr dazu. Dr.-Ing. Norbert Wellmann, Geschäftsführer der Europäischen Forschungsgesellschaft für Blech- verarbeitung e. V. (EFB) Foto: EFB Leichtbau und Industrie 4.0 Hybrider Stoßfängerquerträger Foto: LIA, LWF, TMC, Uni Paderborn Forschungsvielfalt Fortsetzung auf Seite 4

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