19. April 2024 
 
19. April 2017

Fertigung 4.0: Ortsübergreifend und flexibel

Wie künftig eine ortsübergreifende, flexible Produktion möglich wird, ist auf der Hannover Messe in Halle 8 am Stand D20 zu erleben. Die Technologie-Initiative SmartFactory KL hat spannende Neuerungen bei ihrer Industrie 4.0-Demo-Anlage umgesetzt, wie Prof. Dr.-Ing. Detlef Zühlke im Interview mit DIE MESSE erläutert.

Foto: SmartFactory-KL / C. ArnoldiFoto: SmartFactory-KL / C. Arnoldi
Prof. Dr.-Ing. Detlef Zühlke, Vorstandsvorsitzender der Technologie-Initiative SmartFactory KL e.V.
Herr Prof. Dr. Zühlke, auf der Hannover Messe stellt sich die Industrie 4.0-Anlage des SmartFactoryKL-Partnerkreises am Stand D 20, Halle 8 in einem neuen Layout vor. Was ist neu?

Durch die schnell fortschreitende Vernetzung in unseren Produk­tionsbetrieben einerseits und die immer kleineren Losgrößen andererseits müssen die Produktionssysteme immer schneller an die jeweiligen Produkte angepasst werden. Den Weg zu einer deutlich schnelleren Umrüstung konnten wir bislang bereits an unserer modularen Demoanlage zeigen. Nun gehen wir einen Schritt weiter und bilden aus unseren Modulen physisch voneinander getrennte Produktionsinseln. Diese werden materialflussmäßig über ein fahrerloses Transportsystem verknüpft, das aus einer Roboterplattform als zentralem Element sowie den Förderbändern in den Modulen besteht.

Welche Optionen – mit Blick auf eine ortsübergreifende, flexible Produktion – ergeben sich durch das neue Konzept?

Zuerst erfolgt die standardmäßig definierte Bearbeitung des Produkts in vier Modulen. Dann trifft das Manufacturing Execution System (MES) mit einer Information vom Integration Bus über die Anlagentopologie die Entscheidung, wohin das Produkt für seine Weiterverarbeitung transportiert werden soll. Während auf der Hannover Messe das fahrerlose Transportsystem das Produkt nur innerhalb eines kleinen Radius verteilt, lässt sich dies in der realen Anwendung natürlich an verschiedenen Produktionslinien, Werkshallen oder gar Standorten anwenden. Da ein Produkt seinen Fertigungsablauf jeweils über das auf dem RFID-Tag hinterlegte Gedächtnis steuert und von der eingesetzten IT-Struktur dirigiert wird, findet es immer das richtige Modul für den nächsten Bearbeitungsschritt und das nun auch über örtliche Trennungen hinweg.

Auf welche Standards setzen Sie bei der erweiterten Demo-Anlage?

Die Neuanordnung der Industrie 4.0-Demoanlage basiert im Wesentlichen auf drei Standards. Hierzu gehört der RFID-Tag-Standard, durch den die Datenstruktur und -codierung des Produktgedächtnisses auf Basis von ISO 15693 festgelegt ist. Dies ermöglicht, dass die Daten von allen RFID-Geräten der Anlage gelesen werden können, und das natürlich herstellerunabhängig.

Ein zweiter wichtiger Standard, OPC UA, regelt die einheitliche Kommunikation zwischen allen Geräten und Anlagen. Die Docking Station meldet über OPC UA, wenn ein Produkt bewegt werden muss. Gleichzeitig nutzt jedes Modul denselben OPC UA-Datensatz und gibt diesen an den Server weiter, so dass die einheitliche Kommunikation und Koordination aller Elemente untereinander gewährleistet ist.

Als drittes muss es natürlich auch eine Normung der Hardware zum Beispiel im Hinblick auf Paletten-Größen und Übergabeabmessungen geben. Die in der erweiterten Anlage neu eingefügte Docking Station wird dadurch flexibel einsetzbar. Beispielsweise ist die Position aller Förderbänder einheitlich und jeweils mit kompatibler Sensorik zur Nachbarschaftserkennung ausgestattet.

Warum ist der Einsatz von RFID, OPC UA und genormter Hardware für die Industrie wichtig?

Der Einsatz von herstellerunabhängigen und genormten Elementen erlaubt es, das Anlagensetup nach dem Motto von „Plug &Produce“ flexibel und schnell auf die sich verändernden Anforderungen durch den Kunden anzupassen. Nur wenn dies nach einheitlichen Standards und Normen funktioniert, können Komponenten und Module verschiedenster Hersteller immer wieder neu individuell kombiniert werden. Das bietet Anwendern von Industrie 4.0-Elementen maximale Freiheit und Flexibilität und ermöglicht, dass Losgröße 1 erreicht werden kann.

Spannend ist auch das modulare, dynamische Safety-Konzept, das auf der Hannover Messe erstmals zu erleben ist. Was steckt dahinter?

Die Sicherheitssysteme sind bislang noch sehr starr ausgebildet. Wenn der Werker einen Not-Aus-Knopf drückt, geht die gesamte Anlage in den Nothalt. Flexiblere Anlagenstrukturen brauchen aber auch hier flexiblere Lösungen. Wenn man Module hinzufügt oder entfernt, müssen sich auch die Sicherheitseinrichtungen flexibel diesen Veränderungen anpassen. Dies zeigen wir erstmalig mit dem modularen, dynamischen Safety-Konzept. Geht eine Linie in einen sicheren Zustand, kann der Rest der Anlage weiterhin produzieren. Dies kann im Realbetrieb Produktionsausfälle deutlich reduzieren und im Gegenzug die Flexibilität erhöhen.

Das Safety-Konzept wurde mittels eines industriellen ethernet-basierten Kommunikationsprotokolls gemeinsam mit allen Partnern umgesetzt. Es erfolgte der Einbau einer zentralen Sicherheitssteuerung im Serverschrank; gleichzeitig erhielten alle Module der Anlage kleine I/O-Koppler (Eingang-Ausgang-Module), um die Signale über die funktionale Sicherheit der Produktionsmodule auszutauschen. Mittels des Kommunikationsprotokolls können Module oder Fertigungslinien dynamisch parametriert werden, sodass in einem Nothaltfall nur einzelne Anlagenteile ausfallen, nicht aber die komplette Anlage zum Stillstand kommt.

Neuzertifizierungen von Anlagen sollen damit erheblich vereinfacht werden. Was bedeutet dies konkret?

Die Sicherheitsausrüstung von Fabrikanlagen unterliegt meist sehr strengen Zertifizierungsregeln. Die Flexibilisierung im Rahmen von Industrie 4.0 bedeutet, dass Anlagen häufig umgebaut und somit neu zertifiziert werden müssten. Diese Neuzertifizierung durch unabhängige Prüfinstanzen kann mit einem dynamischen Safety-System vereinfacht werden. Hier ergibt sich Potenzial, dass bei Anlagenerweiterungen oder -ergänzungen ein vereinfachtes, teil- oder vollautomatisiertes Zertifizierungsverfahren eingesetzt werden kann. In der Vergangenheit waren alle Produktionsmodule unserer Demo-Anlage mittels Direktverdrahtung in einer einzigen Nothaltschleife zusammengefasst. Diese klassische, drahtgebundene Technik führte jedoch zu hohem Verkabelungsaufwand, wenn neue Produktionsinseln gebildet wurden.

Daneben war auch die Menge an übertragbaren Informationen stark beschränkt; gleichzeitig war die Ursache eines unsicheren Zustands schwer auszumachen. Durch das neue, dynamische Nothalt-Konzept konnten diese Nachteile ausgeräumt werden.

Ein Blick voraus: Welche weiteren Pläne haben Sie für die Industrie 4.0-Anlage in der Schublade?

Zum einen entwickeln wir im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion unsere Werker-Assistenzsysteme weiter. Der Mensch wird nach wie vor eine zentrale Rolle in einer hochflexiblen Produktion spielen, aber wir müssen ihn durch Assistenzsysteme besser unterstützen. Eine weiterer wichtiger Punkt sind die industrietauglichen Netzwerke. Hier stehen wir vor einem Quantensprung, der durch Ethernet-TSN ermöglicht wird.

Wir werden hierzu bereits einen ersten Demonstrator zeigen. Mit der Verfügbarkeit entsprechender Netzwerkprodukte in den nächsten Monaten werden wir TSN dann in die gesamte Demoanlage übernehmen und testen. Sie dürfen also auch auf die Hannover Messe 2018 gespannt sein!

Herr Prof. Dr. Zühlke, vielen Dank für das Gespräch.

http://www.smartfactory.de

http://www.hannovermesse.de

 



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